So sieht ein Rückzug auf Raten aus: Ende Juni kündigte US-Präsident Barack Obama einen neuen Anlauf an, das Einwanderungssystem so gut wie möglich zu reformieren, und zwar alleine, ohne Kongress. Er erwarte Empfehlungen seines Kabinetts bis Ende Sommer, sagte er damals. Zuvor hatte das Repräsentantenhaus entschieden, den Entwurf des Senats zu blockieren – für immer.
Ende August lagen dann allerdings noch keine präsidialen Dekrete vor. Obama präzisierte, einige Entscheide müssten zur richtigen Zeit gefällt werden. Vor wenigen Tagen gab der Präsident dann bekannt, er werde bald entscheiden, allerdings nicht über Präsidialdekrete, sondern über die weiteren Schritte. Am Wochenende nun kam der Entscheid, gar nicht zu entscheiden. Obama liess ausrichten, er werde mit seinen Massnahmen bis nach den Zwischenwahlen im November zuwarten.
Zuerst die Partei
Noch vor der Einwanderungsreform kommt also die Parteipolitik. Auch bei den Demokraten. Ein paar Senatoren in konservativen Staaten, die sich mit ihren republikanischen Gegnern ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, haben in Washington Druck ausgeübt. Sie haben Angst, dass ihnen ein einseitiges Handeln des Präsidenten wertvolle Stimmen und den Senatssitz kosten könnte.
Dass derzeit deutlich weniger Kinderflüchtlinge die Südwestgrenze der USA erreichen als noch im Juni und diese humanitäre Katastrophe nicht mehr jeden Tag in den US-Medien thematisiert wird, mag Obama den Marschhalt erleichtert haben. Er selber weist übrigens weit von sich, dass politische Überlegungen eine Rolle gespielt haben.
In einem Interview mit der TV-Sendung «Meet the Press» sagte er, er sein nun ehrlich, was die Politik angehe: Er werde handeln, aber seine Massnahmen seien nachhaltiger, wenn die amerikanische Öffentlichkeit die Fakten kenne und wisse, und warum eine Reform nötig sei.
Ein grosses Wahlversprechen
Solche Aussagen verärgern viele Hispanics. Sie sprechen sogar von Verrat. Sie fragen sich, warum Obama eine solche Informationskampagne nicht schon lang gestartet hat, wenn er wirklich das Gefühl hat, sie sei so nötig. Seit 2008 warten sie darauf, dass Obama und die Demokraten das Wahlversprechen einer umfassenden Einwanderungsreform einlösen.
Doch auch die Republikaner schäumen. Deren Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, wirft Obama das vor, was auch seine Partei betreibt: Knallharte Interessenpolitik. Boehner hatte gehofft, dass sich mit Obamas Präsidialdekreten zur Einwanderung im November die konservative Basis mobilisieren lässt.