Präsident Obamas Arbeitsminister Tom Perez wählte drastische Worte, als er Journalisten die Absicht des Präsidenten an einer Telefonkonferenz erklärte: Bei der neuen Überzeitenregel gehe es um «Sein oder Nichtsein» der amerikanischen Mittelklasse.
Mit anderen Worten: Kann man sich als Mittelklasse-Familie ein Haus, ein Auto und einen Hund leisten, die Kinder an eine gute Schule schicken und noch etwas Geld fürs Alter zur Seite legen, oder nicht mehr?
Als «Manager» in der Falle
Tatsächlich bleibt der «American Dream» heute für viele ein reiner Wunschtraum. Die Löhne im unteren und mittleren Segment stagnieren seit der Finanzkrise von 2008. Und das durchschnittliche Familieneinkommen ist immer noch nicht zurück auf dem Niveau, auf dem es 2007 noch war.
Um bei ihrem Arbeitgeber gut dazustehen, arbeiten viele Leute mehr als die vorgeschriebenen 40 Stunden, ohne dass sie ihre Überstunden ausbezahlt bekommen. Vor allem Fastfood-Ketten und Kleiderläden geben ihren Angestellten gerne den schön klingenden Status als «Manager» – und nehmen ihnen damit das Recht auf bezahlte Überzeit.
«Allzu viele Manager arbeiten hart und kommen doch nicht voran. Sie können sich kaum über Wasser halten. Höhere Löhne werden durch die Teuerung weggefressen», schilderte Perez die Verhältnisse.
Ein harter Arbeitstag muss fair entlöhnt werden.
Auch Präsident Obama findet das stossend. «Ein harter Arbeitstag muss fair entlöhnt werden», schreibt er in einem Internet-Blog und verlangt, dass die Arbeitsschutzregel umformuliert wird.
Schon ab nächstem Jahr sollen sich all jene die Überstunden vergüten lassen können, die mehr als 40 Stunden arbeiten. Und zwar nicht nur bis zu einem Jahreslohn von 23‘000 Dollar wie bisher, sondern neu bis zu 50‘000 Dollar.
Perez: «Mindestens fünf Millionen profitieren zusätzlich»
Damit hebt Obama die Schwelle auf ein Niveau, das inflationsbereinigt ungefähr jenem von 1975 entspricht. Mindestens fünf Millionen zusätzliche Arbeitnehmer würden von der Regel profitieren, schätzt Perez.
Es ist die grösste Anpassung, seit die Bestimmung in der New Deal-Periode von Präsident Franklin Delano Roosevelt in den 1930-er Jahren in Kraft gesetzt wurde. Präsident George W. Bush revidierte sie 2004, allerdings nicht zugunsten der Arbeitnehmer, sondern zugunsten der Arbeitgeber.
Diese Anpassung vernichtet noch mehr Stellen im mittleren Management. Arbeitgeber werden sie streichen.
Während Gewerkschaften und die Demokraten nun Beifall klatschen, ärgern sich die Republikaner. Der Abgeordnete Tim Walberg aus Michigan, der im Repräsentantenhaus den Arbeitnehmer-Ausschuss leitet, erklärte gegenüber dem TV-Sender Fox-News: «Diese Anpassung vernichtet noch mehr Stellen im mittleren Management. Arbeitgeber werden sie streichen. Arbeitnehmer haben in Zukunft weniger Möglichkeiten, Führungserfahrung zu sammeln und dann die Karriereleiter hochzuklettern.»
Obama braucht den Kongress nicht
Ähnlich tönt es bei den wichtigsten US-Wirtschaftsverbänden. Allerdings haben sie nicht allzu viele Möglichkeiten, Obama und seine Pläne zu stoppen. Zwar werden bereits Klagen angedroht und Bremsmanöver im Kongress in Aussicht gestellt, etwa über den Budget-Prozess.
Aber der Präsident kann – anders als bei der Erhöhung des Mindestlohnes – die Änderung der Überzeitenregelung im Alleingang durchziehen. Er braucht das Plazet des Kongresses nicht. Und er lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er dies sehr schnell tun will.