Es ist eng und lebendig in dem kleinen Dorfladen von Oleg Sirota. Ein halbes Dutzend Kunden drängelt sich vor der Käse-Theke. Die Verkäuferin kann nicht alle Wünsche erfüllen. Nur noch den milden Schnittkäse gibt es und Joghurt. Der Rest ist vorerst ausverkauft. Den «Bergkäse», ein besonders rezentes Produkt, kann man vorbestellen. Liefertermin: frühestens im Sommer.
Käser Sirota, mit Zottelbart und Fellmütze, steht in seinem Laden und lacht vergnügt. Danke, kommen sie wieder, ruft er zwei Kunden hinterher. Im letzten Sommer hat er seine Käserei eröffnet, hier, in einem kleinen Dorf 50 Kilometer ausserhalb Moskaus. Eigentlich ist er Informatiker; hatte eine eigene Firma. Doch im Geheimen träumte er immer davon, selber Käse zu machen.
Die Sanktionen sind ein Segen für mich.
Alles hat sich geändert, als Russland gegen Europa Sanktionen erliess. Da war klar: «Jetzt ist der Moment, in dem mein Traum Realität wird. Ich habe alles verkauft, mein Geschäft, meine Wohnung, meine Autos – und in diese Käserei investiert.»
Sirota führt jetzt durch die eigentliche Produktion. Mehrere Mitarbeiter waschen Käse-Kessel aus, schrauben Leitungen zusammen. Es dampft und riecht kräftig nach Milch.
«Die Sanktionen sind ein Segen für mich», sagt der Käser. Die Leute fahren zum Teil stundenlang bis in sein Dorf, am Schluss noch über eine holprige Eispiste. Viele Russen vermissen guten Käse, seit der Kreml die Sanktionsbarriere heruntergelassen hat.
«Bio»-Qualität wie in der Schweiz
Zwar gibt es diverse grosse Käse-Fabriken, zum Teil noch aus der Sowjetzeit. Aber die Qualität von diesen Produkten ist – milde gesagt – mässig. «Das ist kein Käse. Das ist Analog-Käse, zum Teil mit Palmöl versetzt. Ich würde so etwas nicht essen», sagt Sirota.
Der Käser setzt deswegen bewusst auf Qualität und ausländisches Knowhow. Schon mehrmals ist er in die Schweiz gefahren, um sich mit Käser-Kollegen auszutauschen. Stolz erzählt er, sein Käse habe das Prädikat «Bio» verdient.
Eigene Milchproduktion als Ziel
Doch die russische Realität stellt den Unternehmer auch vor Schwierigkeiten: «Wir haben grosse Probleme, gute Milch zu bekommen. Bei vielen russischen Milchproduzenten stimmt die Qualität nicht. Deswegen wollen wir hier selber eine Michproduktion aufbauen. Wir suchen jetzt einen Spezialisten, der uns dabei helfen kann – am liebsten einen Deutschen oder einen Schweizer.»
Und das von vielen Unternehmern in Russland beklagte schlechte Geschäftsklima? Den Bürokratie-Irrsinn, die Korruption, schlechte Infrastruktur? Spürt er das? Käser Sirota beklagt sich nicht. Im Gegenteil: Russland sei ein Land mit vielen Möglichkeiten, sagt er. Die Behörden haben ihm 46 Hektaren Land zur Verfügung gestellt. Er bezahlt dafür bloss einen symbolischen Pachtzins. Jetzt hofft er auf weitere staatliche Hilfe. Ein Programm für «Importsubstitution» soll für günstige Kredite sorgen.
Schwieriger Wechsel zum Unternehmertum
«Importsubstitution», also der Versuch, ausländische Produkte durch eigene, russische zu ersetzen, ist ein Modewort derzeit in Russland. Das Land will endlich eine leistungsfähige Industrie aufbauen. Während des jahrelangen Ölbooms war es bequemer gewesen, Lebensmittel einfach zu importieren. Die Sanktionen gegen den Westen sind, so die Lesart des Kreml, eine Art Anschubhilfe für die «Importsubstitution».
Aber so richtig vom Fleck kommt das Projekt bisher nicht. Die russische Zentralbank hat kürzlich in einem Bericht festgestellt, die heimische Industrie sei noch nicht in er Lage, die verbotenen Lebensmittel zu ersetzen. Die Folge: schrumpfendes Angebot, steigende Preise.
Pioniere wie Sirota profitieren von dieser Situation. In seinem Laden läuft der Verkauf munter weiter. Ein Ehepaar macht gerade einen Grosseinkauf und gibt 15‘000 Rubel aus, umgerechnet fast 200 Franken. Es ist etwa die Hälfte eines durchschnittlichen russischen Monatslohns.