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International Patriotische Bürger mit der Lizenz zum Schiessen

Nach dem Anschlag in Nizza will Frankreich vermehrt auf freiwillige «Hilfspolizisten» setzen. Diese teilweise ungeübten Reservisten unterstützen die regulären Sicherheitskräfte – uniformiert und bewaffnet notabene. Eine gefährliche Entwicklung, mahnt der Experte.

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Der Appell kam unmittelbar nach dem Attentat in Nizza: Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve rief «alle patriotischen Franzosen» dazu auf, sich der sogenannten Operativen Reserve von Armee und Gendarmerie anzuschliessen. Jeder, der wolle, könne sich für diesen freiwilligen Sicherheitsdienst melden.

Aktuell dienen in Frankreich rund 180'000 Frauen und Männer als Reservisten. Der grösste Teil von ihnen sind ehemalige Armee- oder Polizeiangehörige. Darunter befinden sich allerdings auch 54'000 freiwillige Zivilisten – und geht es nach Meinung der Regierung, dürften es schon bald wesentlich mehr sein. Denn: «Solche Reservisten ermöglichen eine schnelle Mobilisierung», erklärte Cazeneuve.

Ein Aufruf mit viel Symbolik

Überraschend kommt der Aufruf nicht, wie SRF-Mitarbeiter Rudolf Balmer sagt. «Man weiss in Frankreich seit Wochen, dass Polizei, Gendarmerie und auch die Armeeeinheiten völlig überlastet sind.» Sie stünden quasi rund um die Uhr im Einsatz, wie sich auch am Rande der Fussball-EM gezeigt habe. «Durch die Freiwilligen sollen diese professionellen Sicherheitskräfte entlastet werden.»

Allerdings, so gibt Balmer zu bedenken, habe der Appell wohl auch einen symbolischen Charakter. «Es ist eine Möglichkeit, der Nation zu signalisieren: Jeder kann mithelfen.»

Umstritten bleibt der Ruf nach «Hilfspolizisten» dennoch. Als Freiwilliger kann sich laut Angaben der Nationalen Gendarmerie jeder französische Staatsbürger melden, der zwischen 17 und 30 Jahre alt, «physisch und sittlich reif» ist sowie keine Vorstrafen hat. Während einer 13-tägigen Ausbildung werden die Betreffenden schliesslich an der Waffe, in Nahkampf-Techniken und Selbstverteidigung geschult. Mindestens 25 Tage pro Jahr sollen sie Dienst leisten.

Erst Schnellbleiche, dann Patrouille?

Eingesetzt werden die Freiwilligen nicht bloss im Fall nationaler Krisen, sondern auch bei Grossereignissen. «Die Reserve-Einheiten patrouillieren bereits jetzt uniformiert und mit der Waffe in der Hand auf den Strassen, in Bahnhöfen, auf Flugplätzen», sagt Balmer. Für den Durchschnittsbürger lässt sich also nicht erkennen, ob es sich um reguläre Polizisten oder womöglich um eigentliche Laien handelt. Zwar gebe es wohl eine Trennung bei der Zuteilung der Aufgaben, ansonsten sei jedoch kein Unterschied auszumachen. Und: «Im Notfall wären die Freiwilligen auch berechtigt zu schiessen.»

Nach einer Art Schnellbleiche bewaffnet auf Patrouille gehen? Für Max Hofmann, Generalsekretär des Verbands Schweizerischer Polizei-Beamter, wäre dies hierzulande ein Ding der Unmöglichkeit.

Zum Glück, wie er betont. Es gehe ihm ganz bestimmt nicht um eine gewerkschaftliche Verteidigung seines Berufsstandes. «Doch nicht umsonst dauert die Polizeiausbildung bei uns im Durchschnitt 1,5 Jahre.» Die blosse Präsenz ungeübten Personals erhöhe die Sicherheit nicht – im Gegenteil. «Wo Polizei drauf steht, muss auch Polizei drin sein.» Unterstützung könne die Zivilbevölkerung auf andere Weise sinnvoller leisten: «Indem man Verdächtiges umgehend der Polizei meldet.»

Eine Nationalgarde als Ziel

Frankreichs Regierung reicht das jedenfalls nicht. Ihr erklärtes Ziel ist offenbar, die Reserve-Einheiten zu einer permanenten Kraft wachsen zu lassen. «Mittelfristig will man wohl eine Art Nationalgarde nach amerikanischem Vorbild etablieren», sagt SRF-Mitarbeiter Balmer. «Diese soll in der Öffentlichkeit möglichst präsent sein und damit die einheimische Bevölkerung wie auch ausländische Besucher beruhigen.»

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