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International Peter Gysling: «Georgien hat noch einen weiten Weg vor sich»

In Georgien sind Präsidentschaftswahlen: Staatspräsident Micheil Saakaschwili muss einem anderen Platz machen. SRF-Korrespondent Peter Gysling spricht über die Zukunft der Kaukasus-Republik und er erklärt, welche Rolle dabei der aktuelle Ministerpräsident und Milliardär Bidsina Iwanischwili spielt.

SRF News online: Noch ist nicht gewählt. Dennoch hat Regierungschef Bidsina Iwanischwili angekündigt, sich bis Ende Jahr aus der Politik zurückziehen. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere quasi. Wie ernst ist es ihm damit?

Peter Gysling

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Legende: srf

Der 63-jährige Peter Gysling ist Moskau-Korrespondent. In früheren Funktionen war er als Deutschland-Korrespondent und u.a. als Leiter der Fachredaktion Ausland für SRF tätig.

Peter Gysling: Sehr ernst. In erster Linie ist Iwanischwili ein Geschäftsmann. Ausserdem hat er diesen Entschluss schon beim Einstieg in die georgische Politik mitgeteilt.

Handelt es sich dabei nicht um ein Täuschungsmanöver, um im Hintergrund an der Macht zu bleiben?

Ich glaube nicht, dass er nach seinem Rückzug direkten Einfluss auf den georgischen Politikbetrieb nehmen wird. Dafür schätze ich ihn als zu aufgeklärt ein. Er ist Verfechter einer modernen Demokratie. Dazu gehört auch, dass Regierungsentscheide akzeptiert werden.

Dass Iwanischwili die Politik verlässt und in die Privatwirtschaft zurückkehrt, hat aber viele seiner Wähler enttäuscht.

Ja, viele Georgier finden seinen Rückzug problematisch. Sie haben seine Partei, «Georgischer Traum», bei der Parlamentswahl 2012 vor allem seinetwegen gewählt. Andere wiederum begrüssen es, weil sie der Meinung sind, dass das Land vor allem funktionierende Institutionen brauche. Sie finden, dass die die Zukunft nicht allein von einer einzigen Person abhängen sollte.

Welche Rolle kann er dann noch spielen?

Iwanischwili hat ein starkes Bedürfnis, seinem Land zu helfen. Er hat einen Teil des Strassenbaus finanziert, der Polizei neue Wagen verschafft und Schulen bauen lassen. Und dies auch während der Zeit von Michail Saakaschwili. Zudem half er, die georgischen Behörden vor Korruption zu schützen, indem er dafür sorgte, dass die Beamten höhere Gehälter erhalten. Sein Einsatz wird sich vermutlich auch in Zukunft fortsetzen – jedoch als Privatunternehmer, nicht mehr als Politiker.

Das Vermögen von Bidsina Iwanischwili wird auf 5,5 Milliarden Dollar geschätzt. Ist das ehrlich verdientes Geld?

Es mag merkwürdig klingen, doch Iwanischwili ist eine ehrliche Haut und letztlich – trotz seines immensen Reichtums – irgendwie bescheiden. Sein Vermögen hat er rechtens und durch harte Arbeit unter anderem mit Rohstoffhandel erworben. Ich war selbst skeptisch, dass man ohne krumme Geschäfte zu so viel Geld kommen kann. Viele, auch ich, haben zu diesem Thema recherchiert, aber nichts Verdächtiges gefunden. Auch nicht die Opposition, welche ein grosses Interesse daran hätte, Iwanischwili zu diskreditieren.

Was plant sein ehemaliger Kontrahent Michail Saakaschwili nach seiner Amtszeit nun?

Er will offenbar so schnell wie möglich in die USA umsiedeln, um dort als Gastprofessor zu arbeiten. Zu seinen Freunden darf er namhafte Politiker zählen wie etwa den ehemaligen republikanischen Vizepräsidenten und Verteidigungsminister Dick Cheney.

Wie geht Saakaschwili damit um, dass er nach zehn Jahren nicht mehr an der Spitze der georgischen Macht steht?

Er anerkennt den Wechsel mittlerweile. Der Stabschef seiner Partei sagte mir in einem Gespräch vor drei Wochen, man müsse die Demokratie und den Willen des Volkes akzeptieren.

Das haben die beiden grossen politischen Lager in Georgien gemeinsam: sie stehen für die demokratische Prozesse in ihrem Land ein. Sie wollen sich dem Westen öffnen. Iwanischwili war stets bemüht, Georgien näher an die NATO und die EU zu bringen. Zudem waren er und die neue Regierung bestrebt, die schwierige nachbarschaftliche Beziehung zu Russland wieder zu verbessern.

Wo steht Georgien jetzt? Und wie sieht die Zukunft aus?

Georgien arbeitet noch immer daran, die Folgen des Zerfalls der Sowjetunion zu bewältigen und mit den Folgen des Kaukasuskrieges vom Sommer 2008 umzugehen. Gleichzeitig hat das Land in den Anti-Korruptions-Ranglisten von Transparency International erhebliche Fortschritte gemacht und sich jüngst um zahlreiche Ränge verbessert.

Trotzdem: Georgien hat noch einen weiten Weg vor sich. Die Handelswege müssen ausgebaut werden. Es fehlt an einer funktionierenden Eisenbahnverbindung gen Westen. Und an einer leistungsfähigen eigenen Industrie.

Georgien kann wirtschaftlich letztlich nicht richtig gut bestehen, wenn sich seine Beziehungen zu Russland nicht verbessern. Unter dem abtretenden Präsidenten Saakaschwili waren die Beziehungen vor allem nach dem Krieg vom August 2008 ausserordentlich schlecht. Mit Iwanischwili konnten sie leicht verbessert werden. Nach wie vor aber gibt es zwischen den beiden Ländern keine direkten diplomatischen Beziehungen. Hier bietet übrigens die Schweiz ihre «guten Dienste» an, sie vertritt die georgischen Interessen in Russland und die Interessen Russlands in Georgien.

(schl)

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