Jaroslaw Sellin sitzt vor einer Tasse Tee und erklärt die sogenannte polnische Industrie der Verachtung. Die sei vor zehn Jahren entstanden, nach dem Bruch der geplanten Koalition seiner Partei mit der andern grossen Partei Polens, der Bürgerplattform von Donald Tusk. Seither gingen beide Seiten knallhart miteinander um. In den Medien aber, die zu über 90 Prozent auf Seiten der Bürgerplattform stünden, würde immer nur seine Partei als aggressiv und beleidigend dargestellt. So entstünden Klischees.
Wir gegen den Rest, gegen die Politiker an der Macht und gegen die Medien, gegen das Establishment. Es ist die klassische Botschaft eines national-konservativen Rebellen. Nur «konservativ», präzisiert er. Er möge dieses Adjektiv.
Besonnene Töne statt Holzhammer
Sellin ist 51 Jahre alt, trägt ein kariertes Hemd und eine feine Stahlbrille. Man kann ihn sich leicht als Geschichtslehrer vorstellen, der er war. Doch den Historiker zog es in den Journalismus. Zuerst zu einer katholischen Wochenzeitung, dann arbeitete er beim Fernsehen. Schliesslich verschlug es ihn in die Politik. Hier kämpft er, aber nicht mit dem Holzhammer wie Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Dieser hatte seinen Gegner Donald Tusk, den langjährigen polnischen Premierminister, auch schon mal als Landesverräter bezeichnet. Sellin schlägt leisere Töne an.
Natürlich freue er sich über das gute Image, das Polen nach sieben Jahren Tuskregierung im Ausland hat. Aber das gute Image komme daher, dass Tusk die polnischen Interessen zurückgestellt und sich dem europäischen Mainstream angeschlossen habe, also der Richtung, die Deutschland vorgebe. Und es sei sehr merkwürdig, dass ein Premierminister sein Amt für einen Posten in der EU abgebe. Eine Merkel oder ein Cameron würden das niemals tun.
Weg vom Billiglohn-Image
Sellin ist ein Meister darin, ganz fein an den Nationalstolz der Polen zu appellieren. Nicht nur wenn es um die Aussenpolitik geht. Auch in der Innenpolitik. Der wirtschaftliche Aufschwung unter Tusk hat für ihn einen schalen Nebengeschmack. Polen sei zur grossen Montagehalle geworden. Man sei Zulieferer und habe keine eigenen grossen Marken. Das Land sei attraktiv wegen der tiefen Löhne. Jetzt müsse man ehrgeiziger werden, den Billiglohnland-Kurs aufgeben und die Löhne steigen lassen. Worte, die viele Polen gerne hören.
Auch in der Sozialpolitik gibt sich Sellins Partei gern als Beschützerin der kleinen Leute. Pech nur, dass drei Recht-und-Gerechtigkeits-Abgeordnete kurz vor der Wahl in die Schlagzeilen gerieten, weil sie hohe Autospesen für eine Dienstreise nach Madrid einstrichen – und den Billigflieger nahmen. Das koste ein paar Prozent der Stimmen, vermutet Sellin. Er ist froh, dass Parteichef Kaczynski die drei sofort aus der Partei warf.
Kaczynski ist 65 Jahre alt und schon sehr lange in der Politik. Gerüchte, dass er die Führung abgeben könnte, weist Sellin zurück. Die Autorität und das Charisma, das Kaczynski in ganz Polen habe, machten ihn zur alternativlosen Nummer eins. Wenn es um den Chef geht, wird aus dem feinen Rebell ein loyaler Gefolgsmann.