Die Demonstrationszüge gegen die Regierung kamen vor dem Gebäude der verfassungsgebenden Versammlung in einem Vorort der Hauptstadt Tunis zusammen, wie französische und arabische Medien berichteten.
Geschätzte 40'000 Teilnehmer
Ein Vertreter der Polizei, der nicht namentlich genannt werden wollte, sprach von 40'000 Teilnehmern. Von Seiten der Opposition gab es keine Schätzung. Die Demonstration fand wegen des abendlichen Fastenbrechens während des Ramadan erst in der Nacht statt. Die Teilnehmer forderten den Rücktritt der von der islamistischen Ennahda-Partei geführten Regierung.
Einige hielten Porträts der ermordeten Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi und Chokri Belaid hoch. Viele Bürger machen die Regierung für die Morde verantwortlich.
Putsch der Verfassungsversammlung
Erst wenige Stunden zuvor hatte die Versammlung ihre Tätigkeit angesichts der schweren politischen Krise im Land vorerst ausgesetzt. Die Arbeit des Übergangsparlaments werde erst wieder aufgenommen, wenn es wieder Gespräche zwischen Opposition und Regierung gebe, sagte dessen Präsident Mustapha Ben Jaâfar in Tunis.
Die in Tunesien regierenden gemässigten Islamisten haben die verordnete Pause der verfassungsgebenden Versammlung scharf kritisiert. Der Vorsitzende des Gremiums, habe damit einen Putsch begangen, sagte Nejib Mrad von der Ennahda-Partei dem Fernsehsender Al Mutawassit. Mrad gehört ebenfalls der Versammlung an.
Auslöser der erneuten Eskalation der Spannungen zwischen Opposition und Regierung war der vermutlich von islamistischen Extremisten verübte Mord an dem Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi. Seit der Tat vom 25. Juli gibt es täglich Demonstrationen vor der Verfassungsgebenden Versammlung, bei denen vor allem ein Machtverzicht der Ennahda-Partei gefordert wird. Rund 60 Abgeordnete haben sich angeschlossen und ihr Mandat niedergelegt.
Islamisten erschossen
Agenturberichten zufolge soll die Polizei am Dienstag nahe der Hauptstadt einen Islamisten erschossen haben. Nach den Morden an zwei linken Oppositionspolitikern gehen die Sicherheitskräfte verstärkt gegen radikale Muslime vor, die hinter den Anschlägen vermutet werden.
Der moderat islamistischen Ennahda wird von ihren Gegnern eine Mitverantwortung am Tod der Oppostionellen vorgeworfen. Die Partei hatte im Herbst 2011 die ersten Wahlen nach dem Sturz von Langzeitherrscher Zine el Abidine Ben Ali klar gewonnen. Seitdem führt sie eine Koalition mit der Mitte-Links-Partei CPR um Staatspräsident Moncef Marzouki und der sozialdemokratischen Partei Ettakatol um Ben Jaâfar. Für Dezember sind Neuwahlen geplant.