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Demonstranten nach der Einigung bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und FPÖ am Freitag, 5. Juni 2015, vor dem Landhaus in Eisenstadt.
Legende: Was für die Basis «Verrat» ist, ist für die Parteispitze ein «Befreiungsschlag». Keystone

International Politischer Tabubruch in Österreich

«Die Sozialdemokratische Partei Österreichs spricht sich klar gegen eine Koalition mit der FPÖ auf allen politischen Ebenen aus». Soweit der Parteitagbeschluss vom 29.11.2014. Die Realität: Im Burgenland übernimmt eine Koalition von Sozialdemokraten und rechtsgerichteten Freiheitlichen.

Oft ist es schwer, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen, meinte einst Karl Kraus. Der Wiener Satiriker und Schriftsteller hätte sich heute Nacht mit seinem Bonmot wohl in heller Freude bestätigt gefühlt, als SPÖ-Chef und Bundeskanzler Werner Faymann sich nach der Präsidiumssitzung zum Thema «Koalitionen mit der FPÖ» erklärte.

Der SPÖ-Parteitagsbeschluss bleibe selbstverständlich in Kraft, da gebe es keinen Freibrief für die Landesorganisationen. Aber die SPÖ sei keine Diktatur, und so dürften die Landesorganisationen im Widerspruch zum Parteitagsbeschluss Koalitionen mit den Freiheitlichen machen – die Verantwortung dafür müssten sie aber selber tragen. Wie diese aussieht, sagte er nicht.

Er selbst werde allerdings mit der FPÖ, die für ihn für Verhetzung stehe, nie eine Koalition eingehen. Auf diesen Spagat muss ein Parteichef erst kommen, Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Empörungswelle bei den Genossen

Um diese fürchten jetzt nicht wenige in der SPÖ. Die Jungsozialisten haben Demonstrationen gegen die eigene Parteispitze angekündigt, die roten Studenten wollen gegen die burgenländischen SP-Granden Parteiausschlüsse beantragen, der Gewerkschaftsflügel erklärt sich «maximal enttäuscht», die Präsidentin der österreichischen Frauenvereine tritt per sofort aus der SPÖ aus und der Tiroler SP-Chef will weiterhin dafür kämpfen, dass Parteitagsbeschlüsse gelten.

Aber wie wusste auch schon Karl Kraus: Gute Absichten allein sind wertlos, es kommt drauf an, wer sie hat. Denn es ist klar, die SPÖ-Spitze hat eigene, vielleicht auch gute, aber sicher andere Absichten. Sie nennt den Burgenländer Tabubruch eine «pragmatische Formel». Und dieser pragmatische Schwenk ist nachvollziehbar.

Unheilige Allianz mit politischem Kalkül

Schliesslich geht es in der Politik auch um Macht, oft auch um die eigene, aber auch um die Macht, etwas durchzusetzen für die Wählerschaft. Und dafür braucht es, wenn absolute Mehrheiten fehlen, Regierungspartner. Nur, seit bald 30 Jahren gelten in der SPÖ Koalitionen mit den Freiheitlichen prinzipiell als tabu.

Und in dieser Zeit wurde diese FPÖ – auch eine Partei, die von den sogenannt kleinen Leuten gewählt wird – immer stärker. Den Sozialdemokraten blieben nur noch die Konservativen als Partner. Und die wussten und wissen das auszunützen, hatten selbst aber nie Berührungsängste, mit den Freiheitlichen zu koalieren, wenn es die Gelegenheit ergab.

Für die SP-Spitze ist der Tabubruch daher ein Befreiungsschlag, eine Möglichkeit, sich von der Abhängigkeit von den Konservativen zu lösen und jenseits der beinahe ewigen grossen Koalition politischen Spielraum zu bekommen.

Aber für viele Genossen und Wählerinnen ist es ein Schock, wenn jene, die man jahrelang zum Teil als Faschisten beschimpfte, plötzlich regierungssalonfähig werden. Und vor allem ein Affront, da es in der Partei weder eine Debatte noch demokratisch abgestützte Entscheide gab.

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