Elegu findet man auf keiner Karte. Alles, was dem staubigen Ort eine Bedeutung gibt, ist die Brücke. Sie verbindet das Dorf mit Südsudan. Tag für Tag überqueren sie Dutzende, manchmal Hunderte Menschen. Die Brücke ist ihre Rettung. Jenseits des Flusses herrscht Krieg. Die meisten kommen mit wenigen Habseligkeiten und vielen grausamen Geschichten, wie etwa die 16-jährige Monika Malek.
- «Es ist unvorstellbar, was in unserem Land passiert. Unsere Eltern werden umgebracht. Wer überlebt, stirbt an Hunger. In Südsudan gibt es nichts mehr. Keine Schulen, keine Spitäler - dafür Rebellen, die täglich wahllos Menschen töten. Selbst auf dem Weg hierher an die Grenze wurde unser Bus beschossen. Viele Menschen, die mit mir reisten, wurden dabei getötet.»
«Die Flüchtlinge sind unsere Brüder und Schwestern»
In Südsudan herrscht seit zwei Jahren Bürgerkrieg. Vier Millionen Menschen sind auf der Flucht und suchen Schutz in den Nachbarländern, die meisten in Uganda.
Das Land gilt dank seiner Willkommenskultur als Paradies für Flüchtlinge. Sie nicht abzuweisen, sei ein Akt der Menschlichkeit, sagt Regierungssprecher, Oberst Shaban.
- «Unsere Politik ist einfach: Diese Flüchtlinge sind unsere Brüder und Schwestern. Es sind Nachbarn. Sie haben zu Hause Probleme und sind in Gefahr. Sie haben oft alles verloren. Wenn sie zu uns flüchten, tut Uganda alles Mögliche, um Ihnen ein Zuhause zu bieten, bis sich die Lage in ihrer Heimat wieder beruhigt hat und sie nach Hause zurückkehren können.»
Ein Stück Land und Baumaterial statt Zelte
An eine Rückkehr ist für die 16-jährige Monika und die anderen Flüchtlinge, die letzte Nacht über die Grenze gekommen sind, nicht zu denken. Sie werden deshalb registriert, medizinisch untersucht und anschliessend in Bussen in Lager im Landesinnern verteilt, zum Beispiel nach Niumba im Süd-Westen Ugandas.
Wer Flüchtlingslager in anderen Ländern Afrikas kennt, sucht in Niumba vergeblich nach den elenden Zeltverschlägen, in denen Kriegsflüchtlinge üblicherweise stranden. Ugandas Flüchtlingslager sind Dörfer mit richtigen Häusern und Gärten. Sie wurden von Leuten wie Abuyi Hassan aufgebaut.
Er ist vor drei Jahren mit seiner sechsköpfigen Familie aus der südsudanesischen Hauptstadt Juba geflohen. Auf dem Land, das ihm hier im Lager Niumba zugewiesen wurde, hat er sich eine neue Existenz aufgebaut.
- «Das ist meine Werkstatt, das ist mein Haus, das ist unser Hühnerhaus. Im Garten pflanzen wir Gemüse, Hirse und Tomaten. Es ist unser Küchengarten. Pro Monat bekommen wir zusätzlich vom UNO-Flüchtlingshilfswerk zwölf Kilogramm Hirse pro Person. Dank dem Garten sind unsere Mahlzeiten aber abwechslungsreicher und wir sind unabhängiger.»
«Die Flüchtlinge brachten viele Vorteile»
Niumba war ursprünglich ein kleines ugandisches Dorf. Auf dem Markt gibt es neben Abuyis Meerschweinchen auch Hühner, Ziegen, Gemüse und Kleider zu kaufen. Godfrey ist Schuhverkäufer und Vorsitzender der lokalen Marktvereinigung. Innerhalb von fünf Jahren hat sich die lokale Bevölkerung verdreifacht – von «Dichtestress» mag der 34-jährige Ugander aber nicht sprechen. Die Willkommenskultur der Regierung sei ein Gewinn.
- «Die Ankunft der Flüchtlinge war für uns Ugander eine gute Sache. In dieser Gegend lebten nicht viele Leute. Wer etwas verkaufen wollte, musste weit bis zum nächsten Markt reisen. Heute hat es so viele Kunden, dass wir hier einen Markt gründen konnten. Die Geschäfte laufen gut. Die Regierung musste wegen der Flüchtlinge ein Spital bauen. Früher hatten wir keines. Wegen der Flüchtlinge musste auch eine neue Wasserstelle gebaut werden. Man kann also sagen, dass die Flüchtlinge für die Gegend viele Vorteile brachten.»
«Die Südsudaner zu integrieren ist eine grosse Herausforderung»
Die lokale Wirtschaft floriert, die Flüchtlinge sind willkommen, doch die ugandische Vorzeige-Geschichte wäre nicht zu Ende erzählt, wenn man sie allein als Akt der Menschlichkeit der Regierung begründen würde.
Der Norden Ugandas ist traditionell dünn besiedelt. Die Flüchtlinge machen Land urbar, das bislang verbuscht war. Und sie sorgen dafür, dass internationale Hilfsorganisationen ins Land kommen und mit ihnen Gelder aus dem reichen Teil der Welt. Aber mit Geld und Platz allein ist es nicht getan. Menschen aus Kriegsgebieten zu integrieren, sei eine grosse Herausforderung, erklärt George Baliraine. Der 49-jährige Ugander ist der Chef des roten Kreuzes in Niumba.
- «In Südsudan haben wir das Problem, dass jeder Bürger bewaffnet ist. Kinder werden als Soldaten rekrutiert. Viele Kinder, die nach Uganda kommen, sind aus Gefangenschaft geflüchtet. Sie kommen nun in ein friedliches Land, in dem Kinder nichts von Krieg und Waffen wissen. Und nun sitzen sie im gleichen Schulzimmer mit Kameraden, die meinen, kämpfen sei der einzige Weg, Konflikte zu lösen.»
Kulturelle Hürden sind zu überwinden
Bis die Südsudanesen begriffen, dass Konflikte in Uganda nicht mit der Kalaschnikow gelöst würden, brauche es viel, viel Zeit und viele, viele Gespräche. Laut Baliraine gibt es auch kulturelle Probleme: In Uganda darf man beispielsweise erst mit 18 Jahren heiraten, in Südsudan werden Mädchen dagegen bereits mit 11, 12 verheiratet. Nicht heiraten zu dürfen sei schlimm, klagen fünf junge, zahnlose Südsudanesen, die im Schatten eines Mangobaums sitzen. Es sei ein grosser Verlust für die Väter, denn für eine gesunde, hübsche Tochter gebe es in Südsudan ein Brautgeld von 100 Kühen.
- «Aber hier gibt es weit und breit keine Kühe. Die Ugander sind Ackerbauern, wir aber Hirten. Jeder von uns hatte bis zu 200 Kühe. Unser Grasland reicht bis an den Horizont und wir ziehen mit unseren Tieren von Wasserstelle zu Wasserstelle. Hier aber sitzen wir auf einem Stück Land und sollen Ackerbau betreiben. Den ganzen Tag sollen wir graben und säen. Aber sie säen hier die falsche Hirse. Zu Hause essen wir weisse Hirse. Hier geben sie uns rote Hirse, wovon wir alle Durchfall bekommen.»
Inzwischen wird selbst in Uganda der Boden knapp
Ursprünglich wohnten in Niumba 460 ugandische Ackerbauern. Seit das Flüchtlingslager hier ist, sind es 40’000. Was sagt der Gemeindepräsident von Niumba zu den neuen Nachbarn, die lieber Kühe hätten und rote Hirse? Der runzlige Chief im löchrigen T-Shirt muss lange nachdenken und meint dann:
- «Es mag Probleme geben, aber wir haben nicht vergessen, dass man uns in Südsudan Reis, Öl, Bohnen und Land gab, als wir in den 1970er- und 1980er-Jahren vor den Terrorregimes der Diktatoren Idi Amin und Milton Obote geflohen waren. Das haben wir unseren Brüdern im Südsudan nie vergessen.»
Deshalb sei es normal, dass man ihnen nun auch helfe, wenn sie zu Hause Sorgen hätten. Nachbarschaftshilfe nennt sich das. Es ist ein System, das allen nützen würde, wenn die Krisen in Afrika nicht von Dauer wären. Mittlerweile wird aber selbst in Uganda der Boden knapp. Kürzlich mussten die zugeteilten Landflächen halbiert werden.