Das grösste Land Südamerikas hat gewählt – doch noch ist nicht klar, wer künftig die Geschicke Brasiliens lenkt. Eine Stichwahl wird am 26. Oktober darüber entscheiden. Die beiden Kontrahenten stimmen sich derweil bereits auf die Fortführung des Wahlkampfes ein.
Dass die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff bei der ersten Wahlrunde am vergangenen Sonntag die meisten Stimmen holte, war erwartet worden. Dass ihr Gegner für die Stichwahl der konservative Aécio Neves sein würde, war eine Überraschung. Eigentlich hatte man viel mehr mit der ehemaligen Umweltministerin Marina Silva gerechnet.
Kampf um Anhänger von Verliererin Silva
Die nächsten Wochen werden von Strategie, Absprachen und Bündnissen geprägt sein. Für Neves geht es vor allem um einen geschmeidigen Weg, die Stimmen aus dem Silva-Lager zu sich zu ziehen. Er hatte seine Konkurrentin um Platz zwei in den zurückliegenden Wochen eher schonend behandelt, wohlwissend, dass die Stunde kommen könnte, in der er ihre Hilfe braucht.
Sollten sich beide verbünden, dann könnte es am 26. Oktober für Rousseff tatsächlich knapp werden. Silva signalisierte schon Gesprächsbereitschaft. Die Wahl habe gezeigt, dass die Menschen nicht einverstanden seien mit dem Brasilien, wie es derzeit sei. Auch aus den Reihen ihrer Verbündeten gab es erste Anzeichen, dass sie bereit seien, Neves zu unterstützen.
Überraschungskandidat Neves verspricht den Aufbruch und geisselt den Interventionismus der Rousseff-Regierung, der Investoren abschrecke. «Wir sind erst auf der Hälfte des Weges. (...) Das ist kein Projekt nur einer Partei. Das ist die Stunde, um die Kräfte zu vereinen», sagte er.
Rousseff setzt auf Sozialprojekte
Doch auch Rousseff stellt sich nun auf ihren neuen Herausforderer ein und passt ihren Wahlkampf an. Sie wurde bei ihren Auftritt am Wahlabend von den Anhängern mit «Um, dois, tres, Dilma outra vez» (Ein, zwei, drei, Dilma noch einmal) bejubelt. «Ich fühle mich, als hätte ich eine Botschaft erhalten, eine sehr einfache: Sie sagt, dass ich weitermachen und diesen Kampf fortsetzen soll mit jedem dieser Wähler, um Brasilien zu verändern», rief Rousseff.
Sie setzt auf Kontinuität und auf die Erfolge ihrer Regierung unter anderem bei der Armutsbekämpfung. Traditionell schnitten sie und ihre Arbeiterpartei PT im armen Nordosten des Landes stark ab. Dort profitieren Millionen Menschen von der Familiensozialhilfe «Bolsa Família», die von Rousseff und ihrem Vorgänger und Parteigenossen Luiz Inácio Lula da Silva im Kampf gegen die Armut massiv ausgebaut wurde. Die Erfolge dieser Politik sind auch international anerkannt.
Gleichberechtigte TV-Auftritte
Medial ziehen die beiden Kontrahenten im Schlusswahlkampf gleich. Bislang standen Neves bislang nur vier Minuten Sendezeit zur Verfügung, dem Rousseff- Lager dagegen elf. Jetzt haben beide die gleiche Sendezeit. Im Fernsehland Brasilien kann das entscheidend sein.
Das Rennen um die Präsidentschaft der siebtgrössten Volkswirtschaft der Welt ist auf jeden Fall nach der ersten Runde offener, als viele dachten.