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König Abdullah vor einem Treffen mit John Kerry im September 2014
Legende: Der Westen kondoliert – und möchte weiter auf seinen geostrategisch wichtigen Partner zählen. Reuters

International Saudi-Arabien und der Westen: sorgsam gepflegtes Zweckbündnis

Im ultrakonservativen Saudi-Arabien kommt es zu einem Machtwechsel. Nach dem Tod von König Abdullah übernimmt sein Halbbruder Salman das Zepter. Westliche Staatsmänner zeigen sich tief betroffen. Dabei ist das Land auch für Fundamentalismus und Menschenrechtsverstösse berüchtigt.

Barack Obama bezeichnete ihn als «mutigen, unerschütterlichen Freund». Sein französischer Amtskollege pries den verstorbenen König Abdullah als «Visionär eines dauerhaften und gerechten Friedens». Posthume Weihen an die Adresse des erzkonservativen Machtfaktors auf der Arabischen Halbinsel, die auch irritieren.

Ulrike Freitag, Professorin am «Zentrum Moderner Orient in Berlin», erklärt ein Land, das Rätsel aufgibt: Brutstätte von und Vorkämpfer gegen islamistischen Extremismus; berüchtigt für zahllose Menschenrechtsverstösse und religiösen Fundamentalismus – und gleichzeitig geschätzt als stabilisierender Faktor im Mittleren Osten.

Zur Person

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Ulrike Freitag (geb. 1962 in Freiburg im Breisgau) ist Neuzeithistorikerin und Islamwissenschaftlerin. 2002 wurde sie zur Direktorin des «Zentrums Moderner Orient» in Berlin ernannt, in Verbindung mit einer Professur für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Saudi-Arabien – ein Land der Widersprüche

«Er war ein Modernisierer, aber ein konservativer Modernisierer», ortet Freitag einen der vielen Widersprüche des Landes bereits beim verstorbenen Monarchen: «In der Bildung räumte er etwa Frauen viel grösseren Spielraum ein. Zugleich stärkte er das Bündnis mit den Islam-Gelehrten.» Diese folgen der wahhabitischen Auslegung des Islams, der ideologisch auch die Terrornetzwerke Al-Kaida und der «Islamische Staat» nahe stehen.

Trotzdem ist Saudi-Arabien der erklärte Feind der Dschihadisten. Die Al-Kaida hat im südlichen Nachbarland Jemen ihre schlagkräftigste Filiale ausgebildet. Im Norden hat der «Islamische Staat» in Teilen des Iraks und Syrien ein Kalifat ausgerufen. Und: beide Terrororganisationen verzeichnen mutmasslich einen regen Zustrom an Geldern und Kämpfern aus Saudi-Arabien.

Islamistischer Terrorismus wird durchaus hart verfolgt – natürlich auch, weil sich dieser Terror gegen das saudische Königshaus gerichtet hat.»

Doch gilt es auch hier zu differenzieren, so die Islamwissenschaftlerin: «Der Zustrom von staatlichen Geldern ist spätestens seit dem 9/11 versiegt, islamistischer Terrorismus wird durchaus hart verfolgt – natürlich auch, weil sich dieser Terror gegen das saudische Königshaus gerichtet hat.» Das schliesse allerdings nicht aus, dass weiterhin Gelder über «dunkle Kanäle» in die Nachbarländer gelangen.

Bündnis mit beiderseitigem Nutzen

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Ein strategischer Partner des Westens also, der auch Anlass zu Kritik bietet. Hinter der verbalen Charmeoffensive westlicher Politiker steckt denn auch Kalkül: «Es ist der Versuch, die guten Beziehungen weiterhin zu erhalten», weist Freitag auf das sorgsam gepflegte Zweckbündnis hin. Zwar sei auch Heuchelei im Spiel. So etwa, als sich König Abdullah nach dem Anschlag auf «Charlie Hedbo» an die Seite der französischen Nation stellte – und sich damit als Vorkämpfer der Meinungsfreiheit gebärdete, während eben diese im eigenen Land drakonische Scharia-Strafen ausgesetzt sind.

Zwar habe das Verhältnis der Saudis zu den USA zuletzt Irritationen erfahren, vorab durch deren Annäherung an den Iran in der Atomfrage. Dennoch herrsche ein beiderseitiges Interesse am Bündnis, sagt Freitag: So wolle der warmherzig kondolierende Westen wohl vorab «auf der Symbolebene ausdrücken, das Bündnis zu erhalten.»

Dafür, dass der Westen weiterhin auf den stabilisierenden Faktor in der Region zählen kann, spricht laut Freitag einiges: «Die Thronfolge ist geregelt. Es geht dem ölreichen Land wirtschaftlich halbwegs gut.» So sei es 2011 auch nicht in den Sog des Arabischen Frühlings geraten und konnte soziale Unruhen mit grossen Sozialprogrammen abfedern. Dem eingeschlagenen Weg werde sich mutmasslich auch Abdullahs Nachfolger Salman verpflichtet fühlen – einen dramatischen Richtungswechsel erwartet Freitag nicht.

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