Es gibt für den Westen zurzeit viele gute Gründe, die enge Bindung an Saudi-Arabien zu hinterfragen. Das Land unterstützt den islamischen Fundamentalismus. Es spielt in Syrien, in Ägypten und im Jemen eine zweifelhafte Rolle. Und es verschärft den Konflikt mit dem Regionalrivalen Iran, der dabei freilich kräftig mithilft.
Zugleich wachse der Spielraum des Westens, Druck auf die Saudis auszuüben, sagt Jean-Pierre Maulny, Vizedirektor des französischen Strategieinstitutes Iris. Denn mit dem Zerfall des Ölpreises steht die Monarchie wirtschaftlich unter Druck. Wegen der aktuellen Ölüberschüsse und neuen Formen der Ölförderung in den USA sei der Westen zudem kaum noch abhängig von saudischem Öl, meint Professor Giacomo Luciani, Golfstaatenexperte am Genfer Graduate Institute.
Saudis als Teil des Nahost-Problems
Immer lauter tönt es, Saudi-Arabien sei Teil des Problems, nicht Teil der Lösung im nahöstlichen Chaos. Aber auch aus saudischer Sicht läge eine Lockerung der Westorientierung nahe. Der Ärger im Wüstenkönigreich vor allem über die USA ist grösser denn je. Zu wenig habe Washington in Syrien gegen Diktator Baschar al-Assad getan, zu wenig gegen die Machtdominanz der Schiiten in Bagdad.
Und das Atomabkommen mit dem Iran gilt in Riad als Sündenfall, da das Ende der Sanktionen Saudi-Arabiens Erzrivalen stärkt. Dennoch: Die gegenseitige Kritik wird zwar nicht aufhören, aber verhallen. Weder wird es westliche Wirtschafts- oder auch nur Waffenboykotte geben. Waffenembargos verhänge man gegen Feinde, gegen Bedrohungen. Beides sei Saudi-Arabien zurzeit nicht, sagt Stratege Maulny.
Ein zu attraktiver Geschäftspartner
Das Königreich ist inzwischen der weltgrösste Rüstungsimporteur, es gehört zu den zwanzig grössten Volkswirtschaften. Wollen westliche Waffenschmieden und westliche Exporteure wirklich mit einem derart kaufkräftigen Kunden brechen?
Der Westen überschätze seinen Einfluss auf Saudi-Arabien ohnehin, so Professor Luciani, etwa was dessen erzreaktionäre Politik betrifft. Extremistische islamische Sichtweisen seien im Land populär, ja mehrheitsfähig. Dem müsse das Königshaus Rechnung tragen, wolle es nicht seinen Sturz riskieren, wie seinerzeit der prowestliche Schah von Persien.
Die USA haben zwar im Verteidigungsbereich, in dem Washington und Riad eng zusammenarbeiten, Hebel, um Einfluss auszuüben. Sie haben jedoch kaum Einfluss, wenn es um Menschenrechte oder Demokratie geht. Zumal den Amerikanern innersaudische Reformen weniger am Herzen liegen, als dass Saudi-Arabien ein regionales Gegengewicht bildet zum erstarkenden Iran.
Deshalb werden dem Regime auch das zögerliche Vorgehen gegen die IS-Terrormiliz oder die anhaltende Förderung rigider Religionsauslegungen in der ganzen muslimischen Welt verziehen. Zunächst brauche der Westen Saudi-Arabien für eine Lösung im Syrienkonflikt, aber auch im Jemen, in Ägypten und in Libyen – erst später werde die saudische Unterstützung des Fundamentalismus zum Thema, sagt Strategie-Fachmann Maulny.
Reformen nicht auf Druck von aussen
Und wie sieht man das in Saudi-Arabien selber? Zumindest nach aussen bleibt man gelassen. Prinz Turki al-Faisal, jahrzehntelang Geheimdienstchef, ist die wichtigste aussenpolitische Stimme der Monarchie. Im US-Sender PBS erklärt er, man könne doch trotz anderer Überzeugungen Freunde und Alliierte sein. Und trotzig ergänzt er: Wenn die Regierung das Land reformiere, dann wegen Forderungen aus dem eigenen Volk, und nicht wegen solchen von aussen.
Kurzfristig ändert sich wohl wenig am Verhältnis des Westens zu Saudi-Arabien. Doch offenkundig ist: Man hat die Ölmonarchie als Anker der Stabilität im tumultösen Nahen Osten überschätzt. «Wird das Land deswegen zum Pulverfass, werden die Saudis bald von der Macht weggefegt», sagt Maulny.
Professor Luciani winkt ab. Als er sich vor 30 Jahren mit Saudi-Arabien zu befassen begann, hätte er keinen Rappen darauf gewettet, dass die Feudalmonarchie die nächsten fünf oder zehn Jahre überlebt. Doch die Saudis sind noch immer da – und Luciani ist mit seinen Prognosen vorsichtig geworden.