Dritter Stock in einem Standesamt in Schanghai. Links vom Lift sind die Heiratsschalter, rechts steht «Lihun» – es ist die Scheidungsabteilung. An einem Dutzend Tische sitzen Paare. Auf den Tischen stehen bunte Blumensträusse. Eine halbe Stunde dauert die Scheidungsprozedur.
Auch Herr und Frau Wang lassen sich scheiden, aber beide haben ein Lächeln im Gesicht. Ihre fünfjährige Ehe läuft bestens. «Ehrlich gesagt will ich mich gar nicht scheiden lassen, aber die Regierung lässt uns keine andere Wahl. Wir haben keinen Streit, verstehen uns gut. Wir lassen uns wegen des Geldes und wegen der Kinder scheiden», erklärt Wang.
Abkühlungsmassnahme mit Nebenwirkungen
Herr und Frau Wang wollen nämlich eine zweite Wohnung kaufen. Das Problem: Bei der Zweitwohnung wird eine Anzahlung von 70 Prozent verlangt, ausserdem sind die Steuern höher. Mit diesen Einschränkungen will die Stadt Schanghai den überhitzten Immobilienmarkt abkühlen. Allerdings lässt die die Regelung mit einer Scheidung leicht umgehen: Denn als ledige Personen dürfen Herr und Frau Wang je eine Wohnung kaufen. Mit ihrer Scheidung sparen sie so umgerechnet 30.000 Franken.
Von Betrug will Herr Wang nichts wissen: «Die Leute, die richtig viel Geld haben, investieren doch sowieso im Ausland und kaufen dort ein Haus. Das können wir uns nicht leisten, wir müssen in China investieren.» Die Wangs haben ihre Zweitwohnung bereits gefunden. Knapp fünf Millionen Renminibi wollen sie dafür investieren, rund 700.000 Franken. Das ist viermal mehr als ihre jetzige Wohnung gekostet hat, die sie erst vor vier Jahren kauften.
«Immobilien-Scheidungswelle»
Nun soll es schnell gehen. Nicht nur die Wangs befürchten, dass die Regierung die Gesetzeslücke bald schliesst. Schanghais Immobilienbesitzer seien sehr nervös, sagt der bekannte chinesische Ökonom und Immobilienexperte Song Qinghui: «Im August ging ein Gerücht von einer geplanten einjährigen Sperre für geschiedene Paare um, diese also bei einem Immobilienkauf ein Jahr lang weiter als verheiratetes Paar behandelt würden. Das hat zu einer Scheidungswelle geführt.»
Nur in der 1. Klasse geht die Rechnung auf
Die Immobilienpreise in Chinas Metropolen Schanghai, Peking und Shenzhen steigen von Monat zu Monat. In China nennt man sie Städte der ersten Klasse. Egal, ob Universitäten, Schulen, Krankenhäuser oder die Verkehrsinfrastruktur. Sie sind den zweit-, dritt- und viertklassigen Städten in allen Lebensbereichen weit voraus.
Für Song Qinghui ist klar: «Wenn Sie in einer zweit- oder drittklassigen Stadt eine Wohnung verkaufen wollen, müssen Sie lange warten. In einer erstklassigen Stadt dagegen kommen die Käufer gleich nach der Ausschreibung. Eigentümer sind in einer starken Verhandlungsposition. Die Käufer überbieten sich gegenseitig, die Verkäufer können das beste Angebot auswählen.»
Zweite Wohnung – zweites Glück
Doch was, wenn es nur eine Blase ist und das Ganze platzt? Dieses Risiko bestehe natürlich immer, sagt Song Qinghui. Doch nach seiner Einschätzung wird das erst in zehn oder gar 20 Jahren passieren. Kurzfristig sieht er keine Gefahr.
Im Standesamt schreiten die Wangs an Wartenden vorbei in Richtung Ausgang. Sobald sie die Wohnung gekauft haben, wollen sie wieder heiraten.