Zum Inhalt springen
Migranten auf einem Boot
Legende: Ein Flüchtlingsboot kurz vor der Rettung durch die italienische Marine am 4. Mai 2015. Keystone/Marina Militare

International «Schlepperboote zerstören bringt wenig»

Zur Bewältigung der Flüchtlingskrise will die EU Schiffe von Schleppern auf dem Mittelmeer versenken. Journalist Kurt Pelda zeigt auf, warum der Plan zu kurz greift, und welche Strategie sinnvoller wäre.

Der Flüchtlingsstrom nach Europa mit Tausenden Todesopfern im Mittelmeer steht ganz oben auf der Traktandenliste der EU. Am Montag diskutieren die 28 EU-Aussen- und Verteidigungsminister in Brüssel, wie den Schleppern das Handwerk gelegt werden könnte. Sie sind es, welche die Flüchtlinge für Tausende Dollar in vollgepferchten Schiffen Richtung Italien entsenden.

«Das Entscheidende für die EU ist, das Geschäftsmodell der Menschenschmuggler zu zerstören – deren Boote und Infrastruktur.» Damit wirbt die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini im Vorfeld des Treffens für einen Militäreinsatz gegen die Schlepper. Laut einem vertraulichen Dokument sollen unter anderem Schlepperboote auf hoher See, in libyschen Gewässern oder an der Küste beschlagnahmt und zerstört werden.

Weltweites Netzwerk

Box aufklappen Box zuklappen

Libysche Menschenhändler sind Teil eines weltweiten Netzwerkes. Das bestätigt das Innenministerium in Tripolis, das auch für den Kampf gegen die illegale Einwanderung zuständig ist. Sie hätten starke Verbindungen zu Italien und anderen europäischen Ländern. Experten zufolge sind auch immer mehr Mafia-Gruppen in das lukrative Geschäft involviert.

Aus Sicht von Journalist und Libyen-Kenner Kurt Pelda greift dieser Ansatz jedoch zu kurz – aus mehreren Gründen.

1. Schlepperboote sind meist Einwegboote

«Die meisten dieser Schlepperboote sind ohnehin als Einwegboote gedacht, die nur für diese eine Fahrt konstruiert sind», sagt Kurt Pelda zu SRF News. Ob die Boote im Mittelmeer versenkt oder auf einen italienischen Schiffsfriedhof gebracht würden, sei den meisten Schleppern deshalb ziemlich egal.

2. Schlepperboote sind schwierig zu identifizieren

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, Schlepperboote überhaupt zu erkennen. Pelda berichtet von extra für die Flüchtlingstransporte angefertigten Fischerbooten, die er an der libyschen Küste gesehen hat. Ihnen fehlen Netze und weitere Fischereiausrüstung, es handelt sich quasi um eine Bootshülle mit Steuerrad, Motor, Tank, Wassertank und Ruder.

Weitere Schlepperboote würden auf der ganzen Welt eingekauft und nach Libyen gebracht. «Doch wie erkennt man ein künftiges Schlepperboot, wenn ein Schiff die Meerenge von Gibraltar passiert?

3. Schlepper erreichen ihr Ziel dennoch

Der Auftrag der Schlepper ist, die Flüchtlinge nach Italien zu bringen. «Übernimmt die EU diese Aufgabe, indem sie die Flüchtlinge von den Booten rettet, bevor sie diese zerstört, kann dies den Schleppern nur recht sein», so Journalist Pelda. «Um das Geschäft der Schlepper tatsächlich zu zerstören, müsste die EU die Flüchtlinge mit eigenen Booten an der libyschen Küste abholen.» Der aktuelle Plan der EU sei nicht sehr weit davon entfernt.

4. Nur das Angebot wird bekämpft

Mit ihrem Plan setzt die EU aus einem weiteren Grund am falschen Ort an: «Sie bekämpft das Angebot und nicht die Nachfrage», erklärt Pelda. Die Schlepper erfüllten nur die Nachfrage nach Fahrten über das Mittelmeer. Doch diese müsse zerstört werden, um das Geschäft wirkungsvoll zu unterbinden.

Pelda vergleicht das Prinzip mit den Bemühungen im Drogenhandel. Erst mit der Legalisierung mancher Drogen konnten grössere Fortschritte in der Bekämpfung erzielt werden.

5. Libysche Miliz verdient mit

Wegen des Bürgerkriegs ist die Erdölförderung in Libyen unterbunden. Damit fehlen den zerstrittenen Gruppen auch die finanziellen Mittel. Viele Milizen finanzieren sich deshalb über den Drogenhandel und auch durch Zusammenarbeit mit den Schlepperbanden.

Kurt Pelda

Box aufklappen Box zuklappen

Der Schweizer Kurt Pelda arbeitet seit 30 Jahren als Kriegsreporter. Er berichtet unter anderem für SRF, «Spiegel» und «Weltwoche» von den Brennpunkten dieser Welt – darunter Afghanistan, Libyen und Syrien.

«Will man das Geschäft der Schlepper zerstören, muss man als allererstes versuchen, den Krieg in Libyen zu beenden», so die Meinung von Kurt Pelda. Die Grenzen zu Libyen hätte man allerdings schon vor Jahren sperren können. Doch die UNO, welche in Libyen vermittle, sei unfähig. «Am besten würde man diese Aufgabe an Italien übertragen, denn Italien hat sehr gute Beziehungen zu Libyen.

Um aufzuzeigen, dass dieses Szenario durchaus realistisch ist, verweist Pelda auf die Zusammenarbeit zwischen Spanien und Marokko. Dadurch sei der Flüchtlingsstrom über die Strasse von Gibraltar wirkungsvoll unterbunden worden.

Der Flüchtlingsstrom passe sich immer der Route an, die am einfachsten zurückzulegen sei, sagt Pelda. «Wenn die Chancen, über Libyen nach Europa zu gelangen, auf zehn Prozent schrumpfen, werden sie einen anderen Weg wählen», ist sich der Journalist sicher. «Zwar wird dies den Ansturm nach Europa nicht wesentlich bremsen. Doch der Tod Tausender im Mittelmeer könnte so vielleicht verhindert werden.»

Meistgelesene Artikel