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International Schlesier hoffen auf Anerkennung als Minderheit

Schlesien, die ehemals deutsche Region im Süden Polens, legt nach dem Zusammenbruch der Schwerindustrie wirtschaftlich wieder zu. Gleichzeitig wächst das Selbstbewusstsein der Schlesier. Sie würden gerne als eigenständig anerkannt werden. Doch Warschau verweigert es ihnen.

Bei einer Demonstration der schlesischen Autonomie-Bewegung in Katowice schwenken die etwa 2000 Teilnehmer gelb-blaue Fahnen mit dem schlesischen Adler. Hauptredner ist Jerzy Gorzelik. Er ist Chef der Bewegung «Ruch Autonomii Slaska».

Gorzelik begrüsst die Anwesenden in vier Sprachen und fasst gleich zu Beginn sein zentrales Anliegen für alle verständlich auf Englisch zusammen: Die Rechte von Minderheiten und staatenlosen Nationalitäten müssten in einem Europa der Regionen respektiert werden. Seiner Ansicht nach sind die Schlesier eine staatenlose Nationalität. Schlesier sind nicht – oder nicht mehr – Deutsche, aber auch nicht Polen.

Die Menschen zwischen Wroclaw (Breslau) und Katowice (Kattowitz) hätten eine eigene Identität, sagt er nach der Kundgebung: Schlesier ist, wer sich als Schlesier fühlt. Das Land sei eine historische Region und Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Sprachen.

Keine Anerkennung als Minderheit

In Schlesien hatten im Laufe der Geschichte viele Herrscher das Sagen: Mal war es der polnische König, dann der deutsche und der österreichische Kaiser, später die Nazis, dann die Kommunisten und jetzt die Regierung des demokratischen Polen, welche Schlesien als integralen Bestandteil des Nationalstaats versteht und autonome Regungen nicht akzeptiert.

Vergangenes Jahr hat auch der Oberste Gerichtshof Polens die Existenz einer schlesischen Nationalität verneint und den Schlesiern damit den Minderheitenstatus verweigert. Der Gerichtsentscheid steht in krassem Gegensatz zur Selbstwahrnehmung der Schlesier, denn als solche haben sich bei der letzten Volkszählung immerhin 800‘000 Menschen bezeichnet.

Trotz juristischer Ohrfeige geben die Schlesier nicht klein bei. Ein Bürgerbegehren, eine Art Volksinitiative, soll die Minderheitenfrage zurück auf die politische Agenda bringen. Die Autonomie-Bewegung von Gorzelik, die seit Jahren an Zulauf gewinnt, fordert mehr Selbstverwaltung und letztlich ein föderalistischeres System in Polen: Nicht nur soll in den Schulen in schlesischer Sprache unterrichtet werden können. Auch die hier erwirtschafteten Steuern sollen nicht einfach in die Hauptstadt abfliessen, sondern in Schlesien reinvestiert werden.

Angst vor dem Föderalismus

Warschau hat dafür kein Gehör. Die Stabilität des Staats ist gefährdet, wenn mehr Föderalismus zugelassen wird. Die Angst sitzt tief, denn Polen war in der Geschichte immer wieder in seiner Existenz bedroht. Grossmächte in der Nachbarschaft teilten das Land unter sich auf, bis zum Ende des 1. Weltkriegs existierte 200 Jahre lang gar kein polnischer Staat, und nach dem 2. Weltkrieg wurden Polens Grenzen von Ost nach West verschoben.

Aus der Sicht Warschaus sind die schlesischen Autonomisten nur verkappte Deutsche, die eigentlich nach Deutschland gehören. Doch die Sache mit den Identitäten in dieser Region ist etwas komplizierter. Da gibt es – trotz Auswanderung und Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg – eine eigenständige deutsche Gemeinde in Polen. Und diese ist, im Gegensatz zu den Schlesiern, als Minderheit offiziell anerkannt.

Norbert Rasch ist der Präsident der Deutschen in der Hochburg Opole. Er sagt: «Wir sind nach 1945 hier als Minderheit geblieben. Wir sind stolz und zufrieden, dass wir als deutsche Minderheit anerkannt worden sind.» Er könne verstehen, dass die Schlesier, die noch nicht als Minderheit anerkannt worden sind, dies beantragt hätten. Doch das sei ein Prozess. «Das geschieht nicht von heute auf morgen.»

Die Geschichte hat es nicht einfacher gemacht

Rasch sieht sich als Deutschen in Schlesien, der polnischer Staatsbürger ist. Neben den deutschen Schlesiern gibt es polnische Schlesier wie Jerzy Gorzelik, die zwar meist auch deutsche Wurzeln haben, aber Schlesisch sprechen, eine Abwandlung des Polnischen. Und dann gibt es noch die ethnischen Polen, die nach dem Krieg aus den Ostgebieten nach Schlesien umgesiedelt sind und mit den Autonomieforderungen nichts anfangen können.

Auch der Deutschen-Vertreter Rasch steht einer schlesischen Autonomie skeptisch gegenüber. Er befürchtet, dass die deutsche Grundkultur in der Region verschwinden wird, wenn die Schlesier autonom werden – das Polnische werde überhand nehmen.

Wessen Heimat ist Schlesien nun? Die der Deutschen? Die der Polen? Oder doch die der Schlesier? Die Autonomisten machen jedenfalls Lärm: «Wir sind hier zuhause», skandieren sie zum Schluss ihrer Kundgebung in Katowice. Sie werden so bald keine Ruhe geben. Polen wird die Minderheiten im Land nicht ignorieren können und über kurz oder lang etwas mehr Föderalismus zuzulassen müssen.

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