Bei der Parlamentswahl in Argentinien hat die Partei von Präsidentin Cristina Kirchner herbe Verluste erlitten. Nach Auszählung von über 90 Prozent der Stimmen kommt die Regierungskoalition «Front für den Sieg» landesweit auf rund 33 Prozent, wie die Wahlbehörden mitteilen. Vor zwei Jahren hatte Kirchner bei ihrer Wiederwahl noch 54 Prozent erhalten.
Kirchners Partei verlor die Mehrheit in der grössten Provinz Buenos Aires und anderen wichtigen Provinzen an die von Sergio Massa geführte Opposition. Allein in Buenos Aires leben zwei von fünf Argentinier.
In den beiden Kammern des Parlaments konnte die «Front für den Sieg» jedoch die Mehrheit verteidigen – aber sie ist geschrumpft. Zur Wahl waren die Hälfte der Abgeordneten sowie ein Drittel der Senatoren gestanden.
«Schuld sind immer die anderen»
Das schlechte Abschneiden hänge mit der Wirtschaftspolitik zusammen, urteilt Ulrich Achermann, Südamerika-Korrespondent SRF. Die Regierung finanziere das Haushaltsdefizit mit der Notenpresse und sorge so für eine Jahresteuerung von 25 Prozent. «Diese Inflation treibt die Leute zur Verzweiflung, weil sie ihre Kaufkraft stark schmälert.»
Doch auch Kirchners Regierungsstil habe dazu beigetragen. Kirchner trete immer rechthaberisch und aggressiv auf. «Schuld am wirtschaftlichen Schlamassel sind immer die anderen.» Kirchner habe ihre Wirtschaftspolitik bisher vor allem mit Dekreten und Regierungserlassen gemacht – völlig am Parlament vorbei.
Wegen der neuen Kräfteverhältnisse im Parlament werde das Regieren für Kirchner in den kommenden zwei Jahren kompliziert, so Achermann. «Die Wahlen haben klar gemacht, dass die Leute einen wirtschaftlichen Kurswechsel wollen. Dazu scheint die Regierung aber nicht bereit.»
Keine dritte Amtszeit
Kirchner hatte eine Verfassungsreform geplant, die ihr eine dritte Amtszeit in Folge ermöglichen würde. Dies ist laut Achermann unrealistisch geworden. Die Regierung verfüge im Parlament zwar noch über eine Mehrheit. Diese sei aber hauchdünn. «Damit scheidet eine Verfassungsänderung aus, weil die eine Zweidrittel-Mehrheit voraussetzt. Das Thema Wiederwahl von Kirchner ist vom Tisch.»
Fast 31 Millionen Argentinierinnen und Argentinier waren am Wochenende zu der Wahl aufgerufen. In Argentinien sind alle Bürger zwischen 18 und 70 zur Wahl verpflichtet. Erstmals waren auch Jugendliche von 16 bis 17 berechtigt, ihre Stimme abzugeben.
Der Kirchnerismus vor dem Ende
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Bild 1 von 9. Die Anfänge: In den unruhigen 1970er Jahren kämpfen Nestor Kirchner und Cristina Fernández, die ihren Mann stets «Kirchner» nannte, in der linkspopulistischen Peronistischen Jugend gegen die Militärregierung (1976 bis 1983). Nach ihrer Heirat 1975 eröffnen sie in der Provinzhauptstadt von Santa Cruz ein Anwaltsbüro. Der politische Aufstieg beginnt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 9. Argentinien schlittert 2001 in eine tiefe Notlage. Anleihen von 80 Mrd. Dollar können nicht mehr bedient werden. Auf dem Höhepunkt der Krise wechseln sich fünf Präsidenten in nur zehn Tagen ab. Ein drastisches Sparprogramm seines Vorgängers bringt Nestor Kirchner nach seiner Wahl 2003 so richtig in Fahrt und Argentinien wieder auf Kurs. Bildquelle: Reuters.
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Bild 3 von 9. Mit Kirchner kommt die Hoffnung – auf Kosten der internationalen Kreditwürdigkeit des Landes. Den Peso belässt er stark unterbewertet, um Exporte zu stärken. 2005 setzt er einen grossen Forderungsverzicht durch. Gläubiger, die in das argentinische Angebot einwilligen, verlieren beim Umtausch in neue Bonds mehr als die Hälfte ihrer Anleih-Werte. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 9. Kritiker monieren oft den «königlichen» Regierungsstil Kirchners. Nestor, aufgrund seiner Herkunft «Pinguino» genannt, regiert oft am Parlament vorbei – abzulesen an der Zahl der von ihm erlassenen Dekrete. Andererseits überrascht er nach seiner Wahl die Öffentlichkeit mit einer Aufhebung der Amnestiegesetze gegen Vertreter der Militärdiktatur. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 9. Nestor Kirchner kandidiert 2006 trotz Beliebtheitsraten von über 60 Prozent nicht noch einmal. Nun wird eine Kandidatur seiner Ehefrau Cristina für die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2007 erwartet. Medien spekulieren, dass Nestor unpopuläre Schritte zur Sanierung der Staatsfinanzen bei seiner Frau abladen will, um dann 2011 erneut anzutreten. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 9. Cristina gewinnt die Wahl 2007 und setzt den Kurs ihres Ehemannes fort. Auch sie investiert die steigenden Einnahmen durch den Rohstoffexport zum Teil in Sozialprogramme. Sie revidiert viele Privatisierungen, um die «nationale Souveränität über die Wirtschaft wiederzuerlangen». Rentenversicherung, Fluglinie und Ölfelder werden verstaatlicht. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 9. Die Wirtschaft schwächelt, die Inflation steigt rasant. Die Präsidentin verliert ihre Gefolgschaft. Am 27. Oktober 2010 stirbt Néstor Kirchner an Herzversagen. In der Folge wächst die Popularität Cristinas wieder stark an. Sie hat mit erbittertem Widerstand zu kämpfen. Bürgertum und Industrie werfen ihr Populismus und Eigennutz vor. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 9. Im Oktober 2011 wird Kirchner im Amt bestätigt. In der Folge verschärft sie Devisenkontrollen und protektionistische Massnahmen gegen Importe. Die Welthandelsorganisation kritisiert Argentinien scharf. Im Februar 2012 kommt es zum diplomatischen Konflikt mit Grossbritannien um die Frage der Falklandinseln. Persönlich kämpft sie gegen den Krebs. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 9. Oktober 2013: Die Wirtschaftspolitik der Kirchners hält eine Mehrheit der Argentinier inzwischen für missglückt. Das Land leidet unter einer enormen Inflation. Die Regierung hat den Kauf von US-Dollars beschränkt – zeitgleich verliert der Peso an Kaufkraft. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag droht Cristina Kirchner eine schwere Schlappe. Bildquelle: Reuters.