Wann ist ein Land pleite? Mit dieser Frage sieht sich das Euro-Dauersorgenkind Griechenland konfrontiert. Seitdem Athen einen fälligen Kredit an einen seiner wichtigsten Geldgeber – den Internationalen Währungsfonds (IWF) – am Dienstag nicht zurückgezahlt hat, wird diskutiert: War das die Staatspleite? Und was würde ein Zahlungsausfall Athens bedeuten? Bei Staaten gelten hier andere Regeln als bei Unternehmen oder Privatpersonen.
Ist Griechenland nicht schon längst pleite?
Juristisch ist diese Frage nicht eindeutig zu beantworten. Denn im Gegensatz zu Pleiten von Unternehmen oder Verbrauchern gibt es kein Insolvenzrecht für Staaten. Wirtschaftlich betrachtet ist die Sache klarer: Seit etwa vier Jahren kann Athen seinen finanziellen Verpflichtungen nur nachkommen, weil öffentliche Geldgeber ihm den Kredit geben, den private Gläubiger nicht mehr in dem Umfang geben wollen. Im Klartext: Hätten die restlichen Euroländer und der IWF nicht geholfen, wäre Griechenland früher oder später nicht im Stande gewesen, Gehälter, Renten oder seine Schuldzinsen und Tilgungen zu zahlen. Davon unabhängig haben private Kreditgeber wie Banken im Jahr 2012 auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtet, weil sie nicht mehr mit der Rückzahlung rechnen konnten. Dieser Schuldenschnitt erfolgte offiziell «freiwillig», kam aber ökonomisch einem Zahlungsausfall gleich – also einer Pleite.
Warum ist die Frage der Staatspleite akut?
Das liegt am eskalierten Schuldenstreit zwischen Griechenland und seinen öffentlichen Geldgebern, also den restlichen Euroländern und dem IWF. In der Nacht auf Mittwoch ist das zweite Hilfspaket für Griechenland ausgelaufen weil die Athener Links-Rechts-Regierung die damit verbundenen Spar- und Reformauflagen ablehnt. Da das Land gleichzeitig beim IWF in Zahlungsverzug geraten ist, kann es aktuell nicht mehr auf finanzielle Unterstützung seiner Partner zählen. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten privaten Gläubiger Athen keinen Kredit geben wollen. Griechenland hat nicht genügend Einnahmen, um seine vergleichsweise hohen Staatsausgaben zu finanzieren und seinen Schuldenberg abzutragen. Deshalb steuert das Land erneut auf einen Zahlungsausfall zu.
Was bedeutet die nicht gezahlte IWF-Kreditrate?
Selbst Experten sind sich darüber nicht ganz im Klaren. Im Extremfall könnten bestimmte Kredite der Euroländer sofort fällig gestellt werden. Die Volkswirte der US-Bank JP Morgan bezweifeln aber, dass es soweit kommt. Sie halten die Auswirkungen für begrenzter. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist der IWF kein privater, sondern ein öffentlicher Gläubiger. Zum anderen hat der Währungsfonds Athen direkte Kredite gewährt – und nicht Staatsanleihen des Landes gekauft. Beides hat entscheidende Folgen für das Urteil der Ratingagenturen: Bonitätswächter wie Standard & Poor's, Moody's oder Fitch sehen ihre Aufgabe darin, die Kreditwürdigkeit von Schuldnern aus Sicht privater Anleger zu bewerten.
Was sagen IWF und der Eurorettungsfonds EFSF/ESM dazu?
Nachdem Athen die am 30. Juni fällige Kreditrate in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro nicht pünktlich zurückgezahlt hat, stellte der IWF fest: Griechenland sei nun in Zahlungsverzug und könne weitere Hilfen erst erhalten, wenn die Rückstände bezahlt seien. Der Eurorettungsfonds EFSF/ESM teilte mit, über eine mögliche vorzeitige Rückforderung seiner Milliardenhilfen an Griechenland nicht ohne die anderen Geldgeber zu entscheiden. «Der EFSF wird seine nächsten Schritte eng mit der Eurogruppe, der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abstimmen», erklärte der Fonds.
Welche Rolle spielt die Europäische Zentralbank?
Eine ganz entscheidende. Im Gegensatz zum IWF hat die EZB zum Höhepunkt der Eurokrise Staatsanleihen Griechenlands gekauft, um dem Land finanziell unter die Arme zu greifen. Am 20. Juli muss Athen einen Teil zurückzahlen. Das wird ohne Unterstützung seiner öffentlichen Geldgeber nicht zu stemmen sein. Die Folgen für die EZB wären dramatisch, weil infolge des Zahlungsausfalls aus einer zeitweisen Staatsfinanzierung eine dauerhafte würde. Das ist der EZB verboten. Deswegen würde der Notenbank wohl keine Wahl bleiben: Die ELA-Notkredite, an denen zurzeit das Überleben der griechischen Banken hängt, würden vermutlich deutlich reduziert oder ganz gestrichen. Damit wäre aber die Existenz der griechischen Banken bedroht – und die griechische Wirtschaft würde ins Chaos stürzen, wie es in einer Studie von JP Morgan heisst.
Wie ist die Bedeutung privater Gläubiger einzuschätzen?
Sehr hoch, obwohl sie nur noch in geringerem Masse Kreditgeber Griechenlands sind. Athen dürfte Experten zufolge grossen Wert darauf legen, Zahlungen an private Geldgeber nicht ausfallen zu lassen. Erstens weil ein erneuter Zahlungsausfall gegenüber Privaten Griechenland wohl über Jahre hinweg vom freien Kreditmarkt abschneiden würde, denn das Land hätte jedes Vertrauen verspielt. Zweitens weil die Ratingagenturen die Bonität Athens vermutlich umgehend auf «Zahlungsausfall» («Default» oder «Selective Default») setzen würden. Das würde die EZB unter Zugzwang bringen, die Notkredite für die griechischen Banken zu streichen. Drittens weil eine Finanzlawine ins Rollen kommen dürfte: Eine Reihe weiterer Staatsanleihen könnte notleidend werden, soweit das in den jeweiligen Anleihebedingungen vorgesehen ist («Cross-Default»). Versicherungen könnten fällig werden, die Anleger gegen einen Ausfall auf griechische Staatsanleihen abgeschlossen haben («Credit Default Swaps», CDS).