EU-Sozialkommissar Laszlo Andor probiert es gar nicht erst mit dem Prinzip Hoffnung, als er in Brüssel mit dem neuen Sozialbericht vor die Medien tritt: «Ich muss ihnen heute alles andere als gute Nachrichten überbringen.»
Die Arbeitslosigkeit: so hoch wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Die Langzeitarbeitslosigkeit: nimmt schnell zu. Insbesondere auch unter jungen Menschen. Die Gefahr, in die Armut abzugleiten: ist durch die Krise stark gestiegen.
Damit bestätigen die Statistiken mit der üblichen Verspätung, was man mancherorts in Europa längst spürt. Es sind ungemütliche Fakten. Und auch in dieser Krise gilt: Junge Menschen, arbeitslose Frauen und alleinerziehende Mütter sind besonders armutsgefährdet, wie Andor feststellt.
Riesige Kluft zwischen Norden und Süden
All das wäre schon Grund zu grosser Sorge. Geradezu alarmierend ist aber der Umstand, dass die Auswirkungen der Krise sehr ungleich verteilt sind. Zwischen Nord- und Südeuropa tut sich nach den Worten des EU-Kommissars eine Schere auf.
Das gilt für das Armutsrisiko genauso wie für die Arbeitslosigkeit. In manchen Ländern Südeuropas sind derzeit mehr als die Hälfte aller Jugendlichen arbeitslos. In Deutschland ist es nicht einmal einer von zehn.
Oder für das Geld, das die Haushalte ausgeben können: In Deutschland, Frankreich und auch Polen ist das sogenannte Bruttorealeinkommen trotz Krise gestiegen. Die Spanier hingegen haben inzwischen fast 10 Prozent weniger im Portemonnaie, die Griechen gar 20 Prozent weniger.
«Noch nie waren die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa so gross», schreibt die EU-Kommission. Zur Erklärung verweist sie auf die dynamischeren Arbeitsmärkte Nordeuropas, aber auch auf die bessere Arbeitslosen- und Altersversicherung.
Andor: Union auf Sozialpolitik ausweiten
Es gilt offenbar: Wer mehr Sozialstaat hat, kommt besser durch die Krise. Doch einen funktionierenden Sozialstaat baut man nicht von heute auf morgen auf, und schon gar nicht mit leeren Kassen.
Europa brauche jetzt soziale Investitionen, forderte der EU-Kommissar. Etwa im Bereich der Bildung. Doch auch Andor weiss, dass gerade die Länder, die am dringendsten auf Investitionen angewiesen wären, derzeit sparen müssen und kaum investieren können. Darum empfiehlt er eine Ausweitung der Wirtschafts- und Währungsunion auch auf das Feld der Sozialpolitik.
Und das hiesse wohl: Die Sozialpolitik, derzeit Sache der Mitgliedländer, würde in Brüssel gemacht. Und Länder, die ohne Schaden oder sogar mit Gewinn durch eine Krise kommen, unterstützen die Krisenopfer nicht mehr nur mit Darlehen, sondern mit echten Transfers.
Keine rasche Besserung in Sicht
Doch eine solche Vertiefung der Union zeichnet sich nicht ab. Es sei unwahrscheinlich, schreibt die EU-Kommission, dass sich die sozioökonomische Lage in Europa 2013 wesentlich verbessern werde. Anders gesagt: Die Schere zwischen Nord- und Südeuropa öffnet sich weiter. Die sozialen und politischen Risiken für das Projekt Europa nehmen zu.