In der Nacht auf den 22. Juli 2001 hatten 400 Polizisten in Genua die Schule Diaz-Pertini gestürmt, in der Demonstranten gegen den G8-Gipfel ihr Nachtlager errichtet hatten. Nach Augenzeugenberichten schlugen die Beamten wahllos auf die Schlafenden in ihren Schlafsäcken ein und verletzten mehrere von ihnen schwer.
Gefälschte Protokolle, die die Demonstranten als gewalttätig beschrieben, hatten den Sturm auf die Schule gerechtfertigt. Eines der Opfer, ein damals 62-Jähriger, der am Sozialforum teilgenommen hatte und auch verprügelt worden war, klagte gegen den Staat Italien. Er hatte bei der Aktion mehrere Knochenbrüche erlitten.
Späte Genugtuung für Opfer
Der Strassburger Gerichtshof für Menschenrechte gab ihm nun Recht und verurteilte das Land. Das Vorgehen der Polizei komme Folter gleich, lautete die Begründung. Zudem muss Italien dem Kläger 45'000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
«Es stand viel auf dem Spiel», erklärt SRF-Korrespondent Rolf Pellegrini. Erst hätten die Rechtsmittel in Italien ausgeschöpft werden müssen. Dabei hätten manche der beteiligten Polizisten von Ex-Faschisten Unterstützung erhalten – «von jenen, die meinen, Kritiker am globalen System müsse man mit allen Mitteln mundtot machen».
Von einer Gerichtsinstanz zur nächsten hätten sich die Urteile über die Jahre geändert, so Pellegrini. Wegen der Erstürmung der Schule seien zwar mehrere ranghohe Polizeioffiziere zu Haftstrafen verurteilt worden, andere seien jedoch freigesprochen worden. «Neun Polizisten kamen wegen Verjährung frei.»
Kritik an Italiens Strafrecht
Festgehalten wird im Strassburger Urteil auch, dass es Italien an einer Strafnorm fehlt, die es erlaubt, Folter angemessen zu bestrafen. So habe die Polizei die Zusammenarbeit mit der Justiz «straflos» verweigern und die Identität der gewalttätigen Beamten zurückhalten können, kritisierten die Richter. Sie sprachen von einem «strukturellen Problem», das behoben werden müsse.
Italien kann gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen. Bereits wegen des Todes eines jungen Demonstranten 2001 in Genua war vor dem Strassburger Gerichtshof eine Klage gegen Italien verhandelt worden; im März 2011 erfolgte aber ein Freispruch.