Das Dorf Sumte mit seinen 100 Einwohnern liegt ruhig an der Elbe in einstigem DDR-Sperrgebiet. Einige Pferde – Ironie der Geschichte: syrische Araber – fressen ruhig Gras. Und die Gänse am Elbe-Ufer fliegen im Formationsflug über Äcker, Sumpf und Schilf.
Vor zwei Monaten war das anders. Als es an einer Bürgerversammlung hiess: Das Dorf mit hundert Einwohnern soll tausend Flüchtlinge aufnehmen. Die Tageszeitung «Die Welt» dokumentierte die Unruhe. Eine Einheimische zeigte sich verängstig ob der «Bedürfnisse der vielen Männer, die hier reinkommen.» Eine andere erkundigte sich, wie schnell die Polizei reagieren könne, um notfalls die «Ruhe» im Dorf wiederherzustellen.
Plötzlicher Meinungsumschwung
Jetzt sagen die Bewohner vor einem Einkaufsmarkt: «Nö, eigentlich alles ruhig hier.» Eine weitere Passantin gibt an, keine Probleme mit den Asylsuchenden zu haben. Der nächste sieht die Situation gelassen, «solange sie keine Probleme machen, haben wir ganz sicher nichts dagegen.»
Ortsvorsteher Christian Fabel sagt, es laufe gut: «600 (Asylsuchende) merkt man, 750 wird sicherlich auch gehen.» Der Grund: Die rund 600 Flüchtlinge leben in einem einstigen Bürodorf am Rande des Dorfes. Eine Parallelwelt, «und das wird auch so bleiben», sagt Fabel.
Trotz allem: Es funktioniert, wie ein Augenschein vor Ort zeigt. Schon die Kleinen lernen Deutsch. Als sich ein pensionierter Deutschlehrer für Deutschkurse bewarb, hiess es: Sie können morgen anfangen. Der freiwillige Lehrer ist Dieter Schmidt.
Vor vier Jahren sei er vorzeitig entlassen worden, weil er eine Gruppe von rund 25 Grundschulkindern nicht mehr unterrichten konnte: «Das hab ich nicht mehr geschafft. Aber hier als autoritäter Lehrer ‹von vorne› bin ich die perfekte Besetzung», sagt Schmidt. Jetzt unterrichtet er bis zu 100 lernwillige Flüchtlinge.
Gelungene Improvisation
Das alles klingt nach Vorzeige-Flüchtlingsunterkunft. Aber als das war es nicht geplant. So wird es gemanagt. Jens Meier vom Arbeiter-Samariterbund leitet mit 60 Mitarbeitern die Flüchtlingsunterkunft. «Entscheidend ist doch nur, dass wir Lösungen finden, damit wir es trotzdem schaffen», sagt er. Man habe mit weniger als 20 Menschen die Einrichtung in nur 11 Tagen hergerichtet. Acht Kilometer Regale habe man entsorgen müssen.
Natürlich ist es für die Flüchtlinge hier nicht einfach. «Wir lernen ein bisschen Deutsch, wir spielen, aber sonst gibt es hier nichts: Nur Bäume», sagt ein Flüchtling.
Die deutsche Bürokratie hat «Potenzial»
Aber es funktioniert. Die Frage ist nur: Wie geht es auf Dauer weiter? Die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind darauf vorbereitet, im kommenden Jahr nochmals 500'000 aufzunehmen. Baden-Württemberg hat ein Verfahren entwickelt, in dem in einem Tag alle beteiligten Institutionen an einem Ort Asylanträge bearbeiten.
Andererseits sind die Zustände in Berlin katastrophal. Flüchtlinge müssen auf der Strasse übernachten, warten tagelang auf Übernachtungsgutscheine. In Deutschland leben 200'000 Menschen, die eigentlich abgeschoben werden könnten. Insgesamt hätte die deutsche Bürokratie – vorsichtig ausgedrückt – ihr Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft.