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International Taxifahren für die Würde: Fahrende Frauen rütteln Indien auf

In Indien steigt die Nachfrage nach Taxis, die von Frauen für Frauen gefahren werden – aus traurigen Gründen: Schon mehrfach wurden Kundinnen von Taxifahrern vergewaltigt. Die fahrenden Frauen wollen nicht nur in eine Männerdomäne einbrechen. Sie wollen die Gesellschaft verändern.

«Ich heisse Savita, fahre für Sakha Taxi und bin 23 Jahre alt. Als ich klein war, wollte ich Pilotin werden, doch dazu fehlte meiner Familie das Geld. Deshalb wurde ich Taxichauffeurin, sozusagen Pilotin auf der Erde» – so die Selbstbeschreibung einer ungewöhnlichen Frau, mit einer ungewöhnlichen Berufswahl.

Savita arbeitet bei Sakha Consulting, einer Firma, die ausschliesslich «weibliche» Taxifahrten anbietet. Die nicht alltägliche Dienstleistung hat einen ernsten Hintergrund. Schon öfter wurden Frauen in Delhi von Taxifahrern vergewaltigt, zuletzt im Dezember, als eine Kundin des Fahrdienstes Uber im Chauffeur ihren Peiniger fand.

Berufsausübung unter kritischen Blicken

Eine Frau am Steuer eines Taxis ist bis heute ein seltener Anblick in der Millionenmetropole. Dass sich Savita in der Männerdomäne nicht nur zurechtfindet, sondern wie selbstverständlich bewegt, wird schnell klar: Selbstsicher bahnt sie sich einen Weg durch das Verkehrschaos der Hauptstadt.

Sie hupt, wenn sie abbiegt, nützt jede kleine Lücken aus, um die Fahrspur zu wechseln und ignoriert Männerblicke. Das müsse sich ändern, sagt Savita: «Frauen müssen aus dem Haus, arbeiten, sich auf der Strasse zeigen. Nur so können wir die engstirnige Mentalität der Männer hier verändern.»

Frauen müssen aus dem Haus, arbeiten, sich auf der Strasse zeigen. Nur so können wir die engstirnige Mentalität der Männer hier verändern.
Autor: Savita Taxifahrerin in Delhi

Auch Deepali Bhardwaj, die Geschäftsführerin von Sakha Consulting, will mit Frauen am Steuer die Gesellschaft verändern. 2009 entstand die Taxifirma von Frauen für Frauen aus einer sozialen Idee: «Wir wollten Frauen aus Slums eine würdevolle Arbeit geben. Die meisten von ihnen arbeiten als Haushaltsangestellte, aber wir wollten, dass sie rauskommen, dass sie fahren lernen.» Das verändere das Ansehen der Frauen, schliesst Bhardwaj: «Und sie brechen damit diese Männerbastion.»

Die Frauen werden acht Monate lang ausgebildet: Selbstverteidigung, Fahrstunden, Lesen und Schreiben gehören dazu. Ausgestattet mit GPS und Pfefferspray beginnen sie danach ihre Arbeit.

Wir wollten Frauen aus Slums eine würdevolle Arbeit geben.
Autor: Deepali Bhardwaj Geschäftsführerin von Sakha Consulting

Die 14 Taxis von Sakha Consulting reichen nicht aus, um die grosse Nachfrage nach dem «exklusiven» Fahrdienst zu befriedigen. Oft werden im kleinen Call Center Kundinnen abgewiesen. Das sozial denkende Unternehmen hat, wie die meisten anderen Frauen-Taxidienste, Schwierigkeiten zu wachsen. Es fehle an Investoren und an Personal, so die Geschäftsführerin. Das Unternehmen könne gerade mal die Kosten decken

Denn bei der Ausbildung der Fahrerinnen stellen sich besondere Herausforderungen, führt Bhardwaj aus: «Ihre Ausbildung dauert länger und kostet mehr. Viele Frauen springen zudem bereits während der Ausbildung wieder ab, weil sie Geld verdienen müssen. Andere werden von ihren Familien unter Druck gesetzt und hören auf.» Diese Faktoren erschweren denn auch die Suche nach Investoren: «Sie wollen hohe Renditen und zwar schnell, aber das können wir nicht bieten», so Bhardwaj.

Selbst ist die Frau – auch in Indien?

Die Geschäftsführerin von Sakha Consulting beschreibt damit Probleme, die auch Savita nicht fremd sind. Ihre Familie wohnt in einem Slum am Stadtrand von Delhi. Die Grossmutter sitzt auf einem Bett, die Mutter bringt Tee. Auch sie wollte anfänglich nicht, dass ihre Tochter in einem Taxi-Unternehmen arbeitet: «Nach Savitas Ausbildung verbot ich ihr zu arbeiten. Ich hatte Angst.» Dann hätten sie die Leute der Firma überzeugt. «Heute bin ich stolz auf Savita», sagt die Mutter – und die Grossmutter nickt zustimmend.

Dank Savitas Gehalt konnte die Familie ihr Haus ausbauen. Die zwei übereinanderliegenden Zimmer sind zwar noch im Rohbau, aber Savita spart bereits für den Verputz. Damit hebt sie sich ab von ihren Freundinnen im Slum. Die meisten seien bereits verheiratet und hätten Kinder.

Unorthodoxer Lebensentwurf

Savitas Pläne sehen anders aus: «Ich werde sicher in den nächsten drei Jahren nicht heiraten. Weil ich arbeite und Geld nach Hause bringe.» Das habe sie gegenüber ihren Eltern durchgesetzt, sagt die 23-Jährige.

Einige ihrer Freundinnen seien neidisch auf ihre Arbeit und ihre Freiheiten. Andere fänden es sei höchste Zeit, dass sie heiraten würde. Savita lässt sich davon nicht beeinflussen: «Sollen sie denken, was sie wollen.» Das Ziel Pilotin hat sich Savita aus dem Kopf geschlagen. Doch sie hat ein neues: Buschauffeurin.

(imhm; amka)

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