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International «Tsipras wird es seinen Partnern nicht leicht machen»

In Griechenland tut der neue Regierungschef Alexis Tsipras, was man von ihm erwartet hat: Er geht auf Konfrontationskurs mit der EU, auch aussenpolitisch. Er beklagt, die Verantwortlichen der EU hätten ihn nicht konsultiert, als sie Russland neue Sanktionen androhten. Was steckt dahinter?

SRF News: Weshalb denn distanziert sich Tsipras von diesen Sanktionsdrohungen?

Corinna Jessen: In Griechenland und nicht nur bei der Linken sind viele der Meinung, dass die Nato und die EU Russland immer weiter in die Enge treiben und damit zu Schritten wie der Annexion der Krim und der Unterstützung von Separatisten geradezu antreiben. In anderen Ländern war die Kritik, die Tsipras formuliert hat, auch zu hören, wenn auch leiser. Er hat versprochen, ihr mehr Gehör zu verschaffen.

In seiner Regierung sitzen auch einige Altkommunisten, die sich die Sanktionen der EU mit einem ‹neokolonialistischen Heisshunger der EU› erklären, oder der stellvertretende Marineminister, der noch im September letzten Jahres den Austritt aus der Nato propagiert hatte. Aufgrund dieser ideologischen Positionierung verwundert es nicht, dass Tsipras auf Distanz zu der Erklärung der EU geht. Möglicherweise will er sich damit in Brüssel ein Faustpfand für die Verhandlung über die griechische Wirtschaft schaffen. Und er weiss, dass er mit einer pro-russischen Haltung auch traditionell Zustimmung in der griechischen Bevölkerung findet.

Corinna Jessen

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Corinna Jessen bei TV-Schaltung nach Athen mit Mikrofon.

Corinna Jessen ist freie Journalistin in Athen, Korrespondentin für mehrere deutschsprachige Tageszeitungen und Mitarbeiterin des ZDF. Sie ist in Athen geboren und aufgewachsen. Studiert hat sie in Deutschland.

In der EU ist man offensichtlich irritiert über die Haltung von Tsipras in der Russlandfrage. Wie blickt man in Athen dem Besuch des EU-Parlamentspräsidenten aus Brüssel entgegen?

Martin Schulz kommt wahrscheinlich nicht nach Griechenland, um über die griechische Vertretung im Europaparlament zu sprechen. Man sieht in ihm vielmehr als eine Art Vermittler, bisher durchaus mit einem Verständnis für die Griechen. Bereits morgen reist Schulz zum französischen Präsidenten Hollande und zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel weiter. Er wird ihnen seine Eindrücke, möglicherweise auch eine Botschaft von Tspiras, überbringen. In Athen sieht man das als den Beginn neuer Verhandlungen. Schulz hatte sich gleich nach den Wahlen anerboten, alles in seiner Macht stehende zu tun, um zu einer allseits akzeptablen Lösung des griechischen Schuldenproblems beizutragen. Doch auch er hat gewarnt, wenn Tspiras nur immer zu allem Nein sage, werde er sich nicht halten können und schon gar nicht mit aussenpolitischen Alleingängen.

Alles in allem: Wird die neue griechische Regierung eine andere Aussenpolitik fahren?

Bankentitel legen zu

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Nach dem Wahlsieg des Linksbündnisses Syriza haben die griechischen Bankentitel bis zu 50 Prozent an Wert verloren. Nun erholen sich die Aktien leicht und legen zwischen zwei und 14 Prozent zu. Auch der Gesamtmarkt hat um zwei Prozent zugelegt. Gegenteilig sieht die Situation auf dem Anleihenmarkt aus.

Alexis Tsipras hat trotz aller anderslautenden Positionierung in seiner Partei klargestellt, dass es nicht im Interesse Griechenlands sein könne, aus der Nato auszutreten. So radikal dürfte es also nicht kommen. Selbst die Frage, ob er wirklich ein Veto gegen die Russland-Sanktionen einlegen wird, ist wohl noch verfrüht. Möglicherweise benutzt er eine solche Option vor allem als Druckmittel für die wirtschaftspolitischen Verhandlungen mit der EU. Ganz sicher wird er es seinen Partnern nicht leicht machen. Zumindest ist zu erwarten, dass er immer wieder auch in der Aussenpolitik aus einer gemeinsamen europäischen Linie ausscheren wird.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

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