Ungeachtet des zuletzt massiven Polizeieinsatzes ist es auf dem Istanbuler Taksim-Platz auch in der Nacht zu Protesten gegen Premier Erdogan gekommen. Die Demonstranten ignorierten den Aufruf der Regierungspartei AKP, den Platz zu räumen. Bei der neuerlichen Kundgebung griff die Polizei aber zunächst nicht ein.
Die Kundgebung war allerdings deutlich kleiner als in den vergangene Tagen, als Tausende Demonstranten teilnahmen. Am Dienstag hatte die Polizei den Taksim-Platz gestürmt und sich bis in die Nacht auf Mittwoch hinein Auseinandersetzungen mit Demonstranten geliefert. Es gab Dutzende Verletzte.
Angebot für Referendum
Der AKP-Vizevorsitzende Hüseyin Celik hatte am Mittwochabend die Demonstranten zu einem Abzug von dem Platz und dem angrenzenden Gezi-Park aufgefordert. Andernfalls sei die Polizei gezwungen, erneut gegen sie vorzugehen.
Zugleich bot er nach einem Treffen Erdogans mit Vertretern der Protestbewegung ein Referendum über die umstrittenen Bebauungspläne für den Gezi-Park an. «Das ist ein Kalkül, um die Lage zu deeskalieren», sagt Werner van Gent, der SRF-Korrespondent vor Ort. Denn mittlerweile wisse man, dass es für ein Referendum keinerlei rechtliche Grundlage gebe.
Erdogan mit antiquiertem Weltbild
Die Vertreter der Protestbewegung reagierten allerdings zurückhaltend auf das Angebot. Sie verweisen laut van Gent auf juristische Probleme. «Momentan läuft eine Klage gegen das Bauvorhaben. Ein Urteil lässt sich mit einem Referendum nicht ohne weiteres ausser Kraft setzen», sagt der Korrespondent.
Zudem stehen die Einzelheiten zu dem Referendum noch in den Sternen. Auch deshalb reagieren die Menschen verhalten und lehnen die Idee vorwiegend ab. Viele Türken werfen Erdogan autoritäres Verhalten vor. Manch einer befürchtet eine Islamisierung des Landes.
Auch die Forderung Erdogans an die Mütter und Väter ihre Kinder doch aus dem Park zurückzuziehen, spreche für dessen antiquiertes Weltbild, so van Gent. «Denn ich glaube nicht, dass die Jugendlichen, die hier sind, sich etwas von ihren Eltern sagen lassen.»
Erdogan kündigt Abstimmung an
Am Nachmittag traf sich Ministerpräsident Erdogan mit verschiedenen Exponenten der Protestbewegung zu einem informellen Gespräch. Darauf signalisierte er einen Lösungsvorschlag. Demnach soll die Bevölkerung von Istanbul oder des Stadtteils Beyoglu an der Urne über das Bauvorhaben abstimmen.
Die Idee eines Referendums sei das «konkrete Ergebnis» dieses Treffens, sagte ein Sprecher der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP. Zugleich forderte er die Demonstranten auf, den Park umgehend zu verlassen. Andernfalls sei die Polizei gezwungen, erneut gegen sie vorzugehen.
Im Ausland wurde Erdogan wegen seines harten Vorgehens gerügt. Der Ministerpräsident verteidigte sich und schalt die internationale Gemeinschaft: Der Westen wolle in der Türkei Unruhe schaffen, um die Wirtschaft des einzigen muslimischen Nato-Mitglieds zu untergraben.
Nachfolgend Bilder vom gestrigen Tag. Sie zeigen, mit welcher Entschlossenheit die Polizei gegen die Demonstranten vorging.
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Bild 1 von 11. Im Istanbuler Gezi-Park begannen im Mai 2013 die Proteste, die sich bald auf die ganze Türkei ausweiteten. Anlass war die Absicht der Regierung, den Park, eine der letzten grünen Oasen in der Millionenstadt am Bosporus, mit einem Einkaufszentrum zu überbauen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 11. Ende Mai stellte sich ein Mann einem Bagger in den Weg. Tags darauf gingen die Proteste los. Wochenlang harrten die Aktivisten darauf im Park aus, immer wieder kam es zu heftigen Konfrontationen mit den Behörden. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 11. Bald ging es nicht mehr nur um die Bäume im Gezi-Park, sondern um eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung Erdogans. Immer mehr Türken, aber auch Politiker im Ausland solidarisierten sich mit den Menschen auf dem Taksim Platz. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 11. Trotz massiver Polizeigewalt kehrten die Leute immer wieder zurück. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 11. Rund um den symbolträchtigen Platz errichteten die Demonstranten Barrikaden. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 11. Putzequipen säubern den Platz nach einer Nacht voller Gewalt Mitte Juni 2013. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 11. Hinter einem Lastwagen suchten die Demonstranten Schutz vor den Wasserwerfern der Polizei. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 11. Andere behalfen sich mit Schildern. Die Polizei kannte gegenüber den mehrheitlich jungen Aktivisten kein Pardon. Bildquelle: Reuters.
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Bild 9 von 11. Ebenfalls keinen zimperlichen Umgang pflegten die Polizisten mit Vertretern der Presse. Bildquelle: Reuters.
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Bild 10 von 11. Über Twitter und Facebook organisierten sich die Demonstranten. Bildquelle: Reuters.
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Bild 11 von 11. Der Gezi-Park wurde in der Nacht auf den 16. Juni 2013 von der Polizei gestürmt. Das Bauvorhaben ist inzwischen auf Eis gelegt, wann immer sich seither regierungskritische Proteste ankündigen, lässt die Regierung den Park vorübergehend sperren. Bildquelle: Reuters.