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International Türkisches Gericht ordnet U-Haft für HDP-Chefs an

Der Druck auf Regierungskritiker in der Türkei steigt: Die beiden Vorsitzenden der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sind in Untersuchungshaft genommen worden – trotz heftiger internationaler Kritik.

  • Bei Polizeirazzien werden insgesamt 12 HDP-Parlamentarier festgenommen, lediglich drei davon sind mittlerweile wieder auf freiem Fuss.
  • Kurz nach den Festnahmen der Präsidenten Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag kommt es im Südosten der Türkei zu einer Explosion, bei der mindestens acht Menschen sterben.
  • In Ankara verhindert die Polizei eine Pressekonferenz der HDP.

Explosion nach Festnahmen

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Kurz nach den Festnahmen ereignete sich in Diyarbakir eine Explosion. Mindestens acht Menschen kamen ums Leben, über 100 wurden verletzt. Ankara beschuldigte die verbotene Kurdenpartei PKK der Urheberschaft. Am Abend bekannte sich der IS zum Anschlag.

Ein Gericht in der Kurdenmetropole Diyarbakir verhängte wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft gegen die Doppelspitze der HDP. Insgesamt ist laut der Nachrichtenagentur Anadolu gegen acht HDP-Abgeordnete Haftbefehl erlassen worden. Unter ihnen sei auch der Chef der Fraktion im Parlament in Ankara, Idris Baluken.

Bei Polizeirazzien waren in der Nacht insgesamt zwölf HDP-Abgeordnete festgenommen worden. Der deutsch-türkische Abgeordnete Ziya Pir und zwei weitere Parlamentarier sollen im Verlauf des Tages unter Auflagen auf freien Fuss gesetzt worden sein.

«Hoheit des Rechts missachtet»

Konkret begründete Ministerpräsident Binali Yildirim die Festnahmen der Abgeordneten damit, dass diese den Vorladungen der Staatsanwaltschaft nicht Folge geleistet hätten. Die betroffenen Parlamentarier hätten die «Hoheit des Rechts» missachtet.

Nach der Aufhebung ihrer Immunität im Mai hatten die HDP-Abgeordneten betont, dass sie mit der aus ihrer Sicht parteilichen Justiz nicht kooperieren würden.

Mit den Verhaftungen gewählter Minderheitenvertreter habe das Vorgehen der Regierung eine neue Eskalationsstufe erreicht, sagt SRF-Korrespondentin Ruth Bossart: «Demirtans ist nach Abdullah Öcalan der wichtigste Kurdenführer. Damit ist seine Verhaftung insbesondere in den Kurdengebieten eine grosse Provokation.» Gleichzeitig sei mit der Verhaftung einer der grössten Kritiker Erdogans mundtot gemacht worden.

Die HDP weist sämtliche Vorwürfe entschieden zurück. Sprecher Ayhan Bilgen sagte, den Verhaftungen fehle jegliche rechtliche Basis, und es handle sich um eine «klare politische Aktion». Er warnte vor dem Versuch, einen Bürgerkrieg loszubrechen.

Das töne zwar alarmistisch, sagt Ruth Bossart. Schon heute habe es jedoch in vielen Städten Proteste gegeben und es sei nicht sicher, ob die Regierung solche künftig unterbinden könne: «Sicher ist, dass im Moment weder im Regierungslager noch auf Seiten der Kurden genügend besonnene Stimmen da sind, die mässigend einwirken könnten.»

Schriftliche Botschaft der Verhafteten

In einem Schreiben der betroffenen Abgeordneten hiess es, früher oder später werde der Kampf für Demokratie siegen. Selahattin Demirtas kündigte in einem Schreiben an seinen Anwalt an, den «demokratischen Kampf» fortzusetzen: «Angesichts unseres Widerstandes werden diese Tage der Tyrannei früher oder später enden.»

Das verstaubte Regime in der Person von Erdogan wird zu einem Ende kommen.
Autor: Schreiben der Verhafteten

Eine Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale in Ankara wurde von der Polizei verhindert. In den Kurdengebieten und in anderen Regionen sperrten die Behörden in der Nacht den Zugang zu sozialen Medien.

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Internationale Kritik

Die Festnahmen riefen international Kritik und Sorge hervor. Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini berief ein Treffen der EU-Botschafter in Ankara ein. Parlamentspräsident Martin Schulz vereinbarte am Abend in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Yildirim, dass umgehend ein Konsultationsverfahren zwischen der türkischen Regierung und dem EU-Parlament eingeleitet werden soll.

Auch ein Sprecher des Weissen Hauses gab zu Protokoll, man sei «zutiefst besorgt» über die Verhaftungen. Dies sei der Türkei auch bereits übermittelt worden.

Kurden-Demonstrationen in Zürich und Bern

Besorgt äusserten sich auch mehrere Schweizer Ständeräte, die sich in diesen Tagen auf Türkei-Besuch befinden. In Bern und Zürich demonstrierten hunderte Kurden und Schweizer Sympathisanten gegen das Vorgehen der Türkischen Regierung.

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