Vor zwei Jahren hat in Tunesien die Selbstverbrennung eines Obsthändlers eine Protestbewegung in Gang gesetzt, die zum Sturz des damaligen Diktators Ben Ali führte. Doch der arabische Frühling hat den Menschen viel weniger gebracht, als sie es sich erhofft haben.
Sie haben zwar bürgerliche Grundrechte erhalten, die sie während der Diktatur von Ben Ali nicht hatten, wie zum Beispiel Versammlungsfreiheit oder Meinungsäusserungsfreiheit. Aber im Alltag ist das Leben für die allermeisten Menschen viel schwieriger geworden.
«Vor allem in den unterprivilegierten Regionen des Landes, etwa im Hinterland und in den armen Vorstädten, da leiden die Menschen wirklich. Unter anderem unter dem starken Anstieg der Preise für Lebensmittel und den anderen Dingen die sie für den Alltag brauchen», sagte Maghreb-Experte Beat Stauffer zu SRF .
Die wirtschaftliche Situation ist schwierig. Ausländische Investoren sind aufgrund der instabilen politischen Lage zurückhaltend. Die Inflationsrate steigt stetig und lag im November bei 5,5 Prozent. Die Arbeitslosenrate liegt laut Nationalem Statistikinstitut landesweit über 23 Prozent. Die Schere zwischen den Städten und den Regionen im Landesinneren geht weiter auf.
Sabotage in der Ennahda
Zwei Jahre nach dem Sturz Ben Alis ist Tunesien noch keine stabile Demokratie. «Das Land wird von einer Regierung geführt, die häufig überfordert wirkt, zum Teil auch inkompetent», sagt der Experte weiter. Man werfe der massgebende Partei Ennahda-Partei vor, dass sie häufig nicht im Interesse des Landes handle. «Die Partei stellt ihre parteipolitischen Interessen voran und übt zum Teil reine Machtpolitik aus», betont Stauffer.
Premierminister Hamadi Jebali gehört zwar zum kompromissbereiteren pragmatischen Flügel der islamistischen Ennahda-Partei. «Aber seine Arbeit wird in einem gewissen Sinn sabotiert von den radikaleren kompromissloseren Kräften innerhalb von Nahda», sagt Stauffer weiter.
«Man muss einfach sagen, das Land ist sehr tief gespalten ist zwischen einer säkularen linken Opposition, der liberalen Opposition und andererseits den islamischen konservativen Kräften», sagt Stauffer. Ein Kompromiss zu finden sei schwierig.
Dazu kommt, dass diese Regierungskoalition von insgesamt drei Parteien geschwächt worden ist, weil die beiden kleinen Juniorparteien in der Koalition viele Mitglieder verloren haben. Offensichtlich sind diese enttäuscht über deren Wirken.
Eine wichtige Rolle spielen laut dem Experten auch diese Komitees zum Schutz der Revolution die der Ennahda-Partei nahe stehen. Diese haben eine sehr unrühmliche Rolle gespielt, vor allem in den letzten Wochen. Sie seien gewalttätig, hätten einzelne Personen umgebracht und Gebäude angezündet.
Intakte Chancen
Seit Monaten kommen über die libysche Grenzen Waffen nach Tunesien. Diese Waffen gelangen in die Hände von Kriminellen zum Teil aber auch von politischen Extremisten.
In den vergangenen Tagen sind mehrere kleine Gruppen von Dschihadisten verhaftet worden. Es waren alle Tunesier, die Kriegserfahrung gesammelt haben in Jemen in Irak oder auch in Syrien und die jetzt offenbar etwas in Tunesien planen. «Das ist im Moment alles noch vage, aber gerade in den letzten Tagen ist es zu solchen Verhaftungen gekommen und die Menschen sind sehr beunruhigt», so der Experte.
«Ich denke aber, dass Tunesien immer noch intakte Chancen hat», sagt der Experte. Die Voraussetzung wäre, dass es gelingen würde die Arbeit an der Verfassung so rasch wie möglich abzuschliessen und in den ersten Monaten des Jahres 2013 dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Der nächste Schritt wäre dann die Parlamentswahl einige Monate später.
«Das setzt aber alles voraus, dass sich die verfeindeten Lager, liberale linke und säkulare Kreise einerseits, islamistisch konservative Kräfte andererseits, zusammenraufen», betont Stauffer.