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International «Ukraine ist auf lange Zeit destabilisiert»

In der Ostukraine wurde am Wochenende gewählt. Wenig überraschend trugen die moskaugetreuen Vasallen den Sieg davon. Wird Kiew dem Treiben in Lugansk und Donezk weiter tatenlos zuschauen oder gehen die Rebellen gar wieder in die Offensive? Experten sind da unterschiedlicher Meinung.

Mit den Wahlen in den selbsternannten «Volksrepubliken» Donezk und Lugansk hat sich die Situation in der Ukraine nach Ansicht vieler Experten nicht entscheidend geändert. Es bleibt beim «frozen conflict» – dem eingefrorenen Konflikt – in dem es kaum noch Bewegung gibt. Eine schnelle Entspannung der Lage scheint wenig realistisch.

Stabilisierung oder Zerfall, vieles ist denkbar

Für den Politologen und Osteuropaexperten Simon Geissbühler gibt es davon abgesehen vorerst drei mögliche Szenarien. «Im besten Falle schafft es die Ukraine, von der Revolution zur Transition zu kommen – sprich dringend nötige Reformen umzusetzen und das Land erfolgreich an den Westen anzubinden.»

Simon Geissbühler

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Der Schweizer Historiker und Politikwissenschaftler arbeitet als Diplomat im Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten. Seine Arbeit führte ihn für mehrere Jahre unter anderem nach Bukarest und Warschau. Der Buchautor ist zudem Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Beiträge und Kommentare.

Das zweite Szenario sei das «Durchwursteln» – sprich, man werde ein paar Reformen umsetzen, aber das System nicht wirklich umkrempeln und den Kampf gegen Korruption nur halbherzig vorantreiben. Das dritte Szenario wäre laut Geissbühler eine erneute Eskalation. «Dann würde die Ukraine vermutlich noch stärker als bisher destabilisiert und weiter zerfallen.»

Moskau hat vorerst alle Ziele erreicht

Welches der drei Szenarien letztlich eintreten wird, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Fakt ist, die militärischen Möglichkeiten der Ukraine gelten derzeit als sehr eingeschränkt. Doch das könne sich schon bald ändern, meint Andreas Zumach. Für den Publizisten und Sicherheitsexperten kommt der jetzige Zustand deshalb eher einer Atempause der Kontrahenten gleich.

«Denn Russland unterstützt die Separatisten weiter mit Personal und Waffen, während die Ukraine gerade ihre Armee mit Hilfe von Waffenkäufen in Milliardenhöhe auf Vordermann zu bringen versucht.» «Von Frieden würde ich daher vorerst nicht reden wollen», so Zumach.

Moskau selbst habe alle seine Ziele erreicht: «Die Ukraine ist auf absehbare Zeit destabilisiert.» Ein EU oder Nato-Beitritt sei auf kurze Sicht deshalb keine Option, allen Beteuerungen aus Brüssel und Kiew zum Trotz.

Krim kostet Putin Milliarden

Politische Beobachter stellen sich jedoch die Frage, ob nicht die pro-russischen Separatisten ihr Gebiet noch ausweiten möchten. Das wäre theoretisch denkbar.

Andreas Zumach

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Zumach gilt als Experte auf den Gebieten des Völkerrechts, der Menschenrechtspolitik und der Sicherheitspolitik. Der deutsche Publizist und Journalist arbeitet unter anderem am europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf als Korrespondent für diverse Medien.

Eine Annexion durch Russland halten Experten hingegen für unwahrscheinlich. Ob Putin das Territorium jetzt offiziell annektiert oder nicht, spiele für ihn kaum noch eine Rolle, so die einhellige Meinung. Zudem komme Moskau die Krim mit rund 60 Milliarden Rubel pro Jahr ohnehin schon teuer zu stehen.

Wiederbelebung alter Allianzen möglich

Entscheidend für die Zukunft der Ukraine werden laut Zumach die globalen Rahmenbedingungen sein. «Sollte Amerikas Präsident nach den Zwischenwahlen zur lahmen Ente werden, ist für die Ukraine von dieser Seite nichts mehr zu erwarten.»

Ohnehin sei in den letzten Wochen zu beobachten, dass die USA ihr Hauptaugenmerk auf Syrien und die Bekämpfung des IS legen. Das könnte wiederum zu einer Annäherung an Moskau führen. Denn beide Seiten haben ein Interesse am Kampf gegen den Terrorismus.

Osteuropaexperte Simon Geissbühler möchte dem zwar nicht widersprechen. Aus seiner Sicht ist für den Ausgang des Konflikts aber entscheidender, was in Kiew passiert. Doch ob die Regierung tatsächlich mit rigoroser Entschlossenheit die Reformen angeht, sieht auch der Schweizer Experte mit gemischten Gefühlen.

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