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International «Unsere Energiewende ist eine Kehrtwende»

Trotz Feuerstürmen und Hitzerekorden: Die Regierung Australiens schweigt den Klimawandel tot. Das spüren vor allem Wissenschaftler und die Betreiber erneuerbarer Energien.

Australien verzeichnet derzeit vermutlich die höchsten je gemessenen Temperaturen und leidet unter verheerenderen Waldbränden. Dass diese Extreme zu einem wesentlichen Teil eine Folge des Klimawandels sind, erfährt das Publikum aber höchstens von einzelnen, mutigen Wissenschaftlern.

Denn die im September 2013 gewählte konservative Regierung unter Premierminister Tony Abbott entliess nur Tage nach ihrer Amtsübernahme die nationale Klimakommission.

Das unparteiische Gremium hochkarätiger Experten hatte Regierung und Bevölkerung neutral über die Gefahren der globalen Erwärmung informiert.

Klimawissenschaften sind Scheisse.
Autor: Tony Abbott Australiens Premier

Das Gremium war das erste Opfer der neuen Regierung. Seit Monaten scheint diese direkt oder indirekt gegen alles und jeden vorzugehen, der einen Zusammenhang zwischen den immer häufigeren und intensiveren Katastrophen und dem Klimawandel zieht. Klimawandelskepsis zieht sich bis in die Spitze der Regierung.

Premier Abbott selbst hatte einmal zu Protokoll gegeben, Klimawissenschaften seien «Scheisse». Als im letzten Oktober die ersten Feuerinfernos grosse Flächen im Westen von Sydney zerstörten, meinte er, Feuer sei nun mal «Teil des australischen Erlebnisses».

Expertin: Waldbrände wegen Klimawandel

Für Experten wie die Umweltwissenschaftlerin Lesley Hughes dagegen zeigen 25 Jahre intensivster wissenschaftlicher Forschung einen klaren Zusammenhang zwischen dem klimatisch bedingten Mangel an Regen, der daraus folgendenden extremen Trockenheit und den Waldbränden. Diese Feuer wüten so stark, dass sie immer häufiger nicht mehr zu kontrollieren sind.

«In Australien beeinflusst Klimawandel sowohl die Frequenz als auch die Intensität extremer Hitze», meint auch Will Steffen, Australiens bekanntester Klimaexperte. Dies erhöhe das Risiko von Waldbränden, vor allem im derzeit besonders betroffenen Südosten des Landes. Steffen und Hughes waren die führenden Köpfe der von Abbott abgesetzten Klimakommission.

Klimawandel ist ein Tabu

Seit den Wahlen ist das Thema Klimawandel praktisch aus dem Wortschatz der Regierung gestrichen. Auch die Medien spielen mit: nur in Ausnahmefällen diskutieren sie den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Katastrophen.

Urs Wälterlin

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Urs Wälterlin ist SRF-Korrespondent für Australien. Der Basler lebt seit 1992 in der Nähe der australischen Hauptstadt Canberra.

Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in der extremen Medienkonzentration, die in es in Australien gibt. 75 Prozent der Zeitungen in Australien gehören dem konservativen Medienmogul Rupert Murdoch.

Er, seine Chefredakteure und eine kleine Armee ultra-konservativer Kommentatoren unterstützen Abbotts Feldzug gegen vermeintlich «linke» Wissenschaftler und gegen die Wissenschaft überhaupt. Den Posten eines Wissenschaftsministers hat Abbott aus dem Regierungskabinett gestrichen.

Kohle: Die Nummer 1 in Australien

Rund 75 Prozent des Stroms erzeugt Australien mit dem Verbrennen von Kohle und anderen fossilen Energieträgern. Gut 13 Prozent werden mit erneuerbaren Quellen generiert. Davon fallen etwa 63 Prozent auf Wasserkraft, rund 25 Prozent auf Wind und etwa 3 Prozent auf Solarstrom.

Wegen der Abhängigkeit von Kohlestrom gehört Australien pro Kopf zu den grössten Emissionsverursachern auf dem Globus. Für die Erneuerbare-Energien-Industrie, die in den letzten Jahren dank verschiedener Stimulierungsmassnahmen einen Aufschwung erlebt hatte, begann mit der Wahl Abbotts und seiner konservativen Regierung eine Zeit grösster Unsicherheit.

Der Sektor wusste allerdings, was auf ihn zukommt. Die Konservativen geniessen seit Jahren die Unterstützung der mächtigen Rohstoffindustrie, und ganz besonders des Kohleenergiesektors, der an der Spitze einer langen und oftmals verdeckten Kampagne gegen Alternative Energien steht.

Die Regierung baut denn auch vorwiegend auf Kohle, einen der wichtigsten Exportrohstoffe Australiens und bedeutendsten Energieträger für die Stromherstellung. Vor kurzem bewilligte Umweltminister Greg Hunt den Bau einer Kohlemine. Diese soll dereinst für den Ausstoss von 40 Millionen Tonnen des Klimagases CO2 pro Jahr verantwortlich sein.

Wahlversprechen gebrochen?

Australiens Premierminister hatte ursprünglich versprochen, seine Konservativen würden das von der der sozialdemokratischen Vorgängerregierung angestrebte Ziel eines Anteils von 20 Prozent erneuerbaren Energien bis 2020 am Gesamt-Energiemix beibehalten.

Dann stellte der Premier eine «Überarbeitung» des so genannten Renewable Energy Targets (RET) in Aussicht. Seine engsten Berater, darunter der ehemalige Deutsche-Bank-Australienchef Maurice Newman, plädieren gar für die komplette Abschaffung des RET.

Newman wurde jüngst für seine öffentlich vertretene Meinung kritisiert, Klimawandel habe nichts mit menschlicher Aktivität zu tun. Er ist ein vehementer Gegner der Windindustrie, wie auch ein grosser Teil der Regierungsmitglieder.

Viele konservative Parlamentarier teilen die Meinung einer kleinen aber lauten Minderheit von «Bürgerinitiativen», die Windturbinen für alles verantwortlich machen – von Schlafstörungen bis zu Fehlgeburten bei Ponys.

Premier Abbott selbst schreckt nicht davor zurück, solche Mythen zu verbreiten. Obwohl eine Studie der nationalen Gesundheitskommission mehrfach die Meinung von Experten bestätigt hatte, es bestehe kein Zusammenhang zwischen Windanlagen und möglichen gesundheitlichen Schäden bei Anwohnern.

Investitionen aufs Eis gelegt

Angesicht des politischen Umfelds darf nicht erstaunen, dass Anleger im Erneuerbaren-Industrien-Sektor grosse Investitionen praktisch aufs Eis gelegt haben. Ein erklärtes Ziel des australischen Premiers ist es, eine Behörde zu schliessen, die günstige Kredite für den Bau nachhaltiger Energieanlagen vergibt.

In den letzten Monaten gab nur ein einziges Unternehmen einen substantiellen Auftrag – für eine Machbarkeitsstudie für eine Solar-Grossanlage in Südaustralien. Selbst Betreiber von seit Jahren bestehenden Windfarmen – allem voran chinesische und spanische Unternehmen – fürchten im Stillen um die Nachhaltigkeit ihres Geschäftsmodells.

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