In einem der letzten grossen Auschwitz-Prozesse ist der 94-jährige frühere SS-Mann Oskar Gröning zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Ihm war Beihilfe zum Mord in mindestens 300'000 Fällen vorgeworfen worden.
In dem Prozess gab es über 70 Nebenkläger, zumeist Überlebende von Auschwitz. Viele von ihnen machten vor Gericht ergreifende Zeugenaussagen.
Moralische Mitschuld eingeräumt
Gröning hatte beim Prozessbeginn im April eine moralische Mitschuld übernommen. Der 94-Jährige räumte ein, das Geld von verschleppten Juden gezählt und an die SS, die Schutzstaffel der NSDAP, nach Berlin weitergeleitet zu haben. An der Rampe im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau will er aber nur zwei- bis dreimal als Vertretung Dienst getan haben, um das Gepäck der eintreffenden Menschen zu bewachen. Dort wurde entschieden, wer nach der Ankunft direkt in die Gaskammer geschickt wurde.
Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Haft für Gröning gefordert. Bis zu 22 Monate sollen aber als bereits verbüsst gelten, weil eine Verurteilung Grönings schon viel früher möglich gewesen wäre.
Hilfe zur Aufklärung von Nazi-Verbrechen
Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Gröning habe den Holocaust im strafrechtlichen Sinne nicht gefördert. Wie nur wenige andere frühere SS-Männer habe er ausserdem freiwillig ausgesagt, auch in anderen Prozessen gegen frühere Kameraden. So habe er wesentlich zur Aufklärung von Verbrechen des Nazi-Regimes beigetragen.
Die Nebenkläger-Vertreter hatten kein konkretes Strafmass gefordert, hielten aber die von der Anklage verlangten dreieinhalb Jahre für zu niedrig. Mit dem gefällten Urteil sind sie aber einverstanden. «Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nunmehr auch die Täter Zeit ihres Lebens nicht vor einer Strafverfolgung sicher sein können», hiess es in einer Erklärung von Anwalt Thomas Walther, der mit einem Kollegen die über 70 Nebenkläger vertritt. Erstmals habe sich in einem Prozess wegen NS-Verbrechen ein Angeklagter zu seiner Schuld bekannt und sich dafür entschuldigt.
Gröning gilt als «Buchhalter von Auschwitz». Weil er eine Banklehre absolviert hatte, wurde der Freiwillige der Waffen-SS 1942 in dem Konzentrationslager dafür eingeteilt, zurückgelassenes Geld der Verschleppten zu zählen und an die SS in Berlin weiterzuleiten. Im September 1944 wechselte er in eine Einheit, die an der Front kämpfte. Nach seinen Angaben geschah das erst nach dem dritten von ihm gestellten Gesuch um Versetzung.
Nur «ein Rädchen im Getriebe»?
Nach dem Krieg kam Gröning zunächst in britische Gefangenschaft, dann lebte er mit Frau und Kindern ein bürgerliches Leben in der Lüneburger Heide. Erst Mitte 1985 öffnete er sich. In einer Dokumentation der britischen BBC berichtete er über das, was er in Auschwitz sah und tat.
Er selbst beschrieb sich dabei als «Rädchen im Getriebe». Gröning hat 2005 auch dem «Spiegel» von seiner Zeit in Auschwitz berichtet. Das Porträt «Der Buchhalter von Auschwitz» schildert ihn als jemanden, der seit Jahrzehnten nach einem anderen Wort für Schuld sucht.