Fernab der Schönen und Reichen von Hollywood und Beverly Hills liegt das Harbor Gateway-Quartier südlich von Los Angeles. Hier lebt die untere Mittelklasse, und hier wohnen auch verhältnismässig viele verurteilte Sexualtäter. Angesiedelt haben sie sich, weil es nur wenige Grünflächen und Spielplätze im Quartier gibt.
2006 hat das Stimmvolk in Kalifornien ein Gesetz verabschiedet, das Sexualtäter zwingt, mindestens 600 Meter von Schulen und Parks entfernt zu leben. Dieser Logik entsprechend, lässt der Bürgermeister von Harbor Gateway jetzt drei Spielplätze bauen, um Sexualtäter zu vertreiben. Auf die Frage, wohin diese gehen sollen, sagt Nachbarin Janet Shour: «In die Wüste!»
Öffentliches Register: Bürger verüben Mordanschläge auf Sexualtäter
Die Angst der Bevölkerung wird geschürt von öffentlichen Registern für Sexualtäter, die in jedem US-Staat im Internet eingesehen werden können. Jeder verurteilte Täter ist dort mit Foto, Adresse und seinem Verbrechen aufgelistet. Der Staat Kalifornien geht besonders weit: Alle Täter bleiben ein Leben lang registriert.
Ein Pranger sei dieses Register, sagt Sexualtäter Frank Lindsay zu «10vor10». Seine Tat liegt 33 Jahre zurück, und er hat sich seither keines Verbrechens mehr schuldig gemacht. Vor drei Jahren aber hat er erleben müssen, wie schwer die Folgen der lebenslangen Registrierung sein können: «Ein Mann, der Sexualtäter hasst, hat meine Adresse im Internet gefunden. Er brach in meinem Haus ein und versuchte, mich zu töten».
Der unterdessen 60jährige schaffte es, den Eindringling zu überwältigen, mehrere Sexualtäter aber sind bei Attacken von aufgebrachten Nachbarn umgekommen. Auf Nachfrage von «10vor10» sagt der Bürgermeister von Harbor Gateway, das sei ihm nicht bekannt.
Sexualtäter nach US-Lesart: Vom Exhibitionisten bis zum Vergewaltiger
Kalifornien und drei andere Bundesstaaten führen lebenslange Register und werfen zudem alle Sexualtäter in einen Topf: Kalifornien listet den Exhibitionisten genauso wie den Vergewaltiger. Besonders oft findet man im Register den Tatbestand «wollüstiger Akt mit einem Kind unter 14 Jahren».
Der verurteilte Sexualtäter Tom sagt, er habe in alkoholisiertem Zustand mit der Tochter seiner Nachbarin Klamauk gemacht und ihr dabei auf den Po geschlagen und in die Brust gekniffen. Die Mutter zeigte ihn an, und er wurde mit 6 Jahren Gefängnis bestraft. Seit der Entlassung trägt Tom wie jeder Sexualtäter fünf Jahre lang eine Fussfessel, die von der Bewährungshilfe elektronisch überwacht wird.
Die grosse Angst der Bevölkerung, so sagt Tom, spiegle sich in Gesetzen, die so streng geworden sind, dass «alles, was im Entferntesten mit einer Sexualtat zu tun haben könnte» bestraft wird. Während seiner 5jährigen Bewährungszeit darf er weder an Schulen, Parks, und Stränden noch an Fastfoodketten mit Spielplätzen vorbei fahren. Denn das GPS-System der Bewährungshilfe kontrolliert ihn auf Schritt und Tritt. Wenige Verfehlungen reichen, und Tom wandert zurück ins Gefängnis.
Juristischer Kampf um Begrifflichkeiten
Bürgerrechtsgruppen versuchen seit Jahren, die Gesetze und Massnahmen gegen Sexualtäter rückgängig zu machen. In Kalifornien wurde die Wohnbeschränkung in Los Angeles von einem Richter nun auf «Hochrisikotäter» eingeschränkt. In der Praxis aber streiten sich Polizisten und Bewährungshelfer, wer damit gemeint ist. Alle warten auf einen Grundsatzentscheid des obersten Gerichts in Kalifornien.