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Ensaf Haidar
Legende: 6. Oktober: Ensaf Haidar nimmt an einer Solidaritätsaktion von Amnesty International für ihren Mann in Wien teil. Keystone

International Verhafteter Blogger Raif Badawi: So kämpft seine Frau um ihn

Raif Badawi wurde zu 1000 Stockschlägen und zehn Jahren Haft verurteilt. Die Welt bangt um ihn – und das verdankt er seiner Frau. Um auf sein Schicksal aufmerksam zu machen, reist sie rund um die Welt. Mit ihrem Buch rührt sie zudem an den Kern das feudalistischen Machtimperiums in Saudi-Arabien.

So viel Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit würde man der zierlichen 35-Jährigen mit den Rastazöpfen gar nicht zutrauen. Doch Ensaf Haidar ist unermüdlich.

Seit Monaten ist sie unterwegs, um rund um den Globus für die Freilassung ihres Mannes zu kämpfen. «Ich glaube, es nützt, wenn die internationalen Medien weiterfahren, über Raif zu schreiben», sagt sie. Auch ausländische Politiker sollten immer wieder seinen Fall ansprechen. Vielleicht bringe dies nicht sofort etwas, «aber auf die Dauer bewirkt es etwas».

Ich beschreibe ihn in meinem Buch als Vater, als Bruder, als Freund, als Ehemann, als Liebhaber. All das ist Raif Badawi, ein wunderbarer Mensch.
Autor: Ensaf Haidar

Der Blogger Raif Badawi

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Der 31-Jährige wurde 2014 von einem Gericht in Saudi-Arabien zu zehn Jahren Haft und 1000 Stockhieben verurteilt, weil er auf seinem Blog den Islam beleidigt haben soll. Die ersten 50 Schläge erhielt Badawi im Januar öffentlich in der Stadt Dschidda. Anschliessend wurde die wöchentlich geplante Tortur ausgesetzt – «aus gesundheitlichen Gründen».

Soeben hat sie über ihren Mann auch ein Buch geschrieben. Raif Badawi ist zwar der bekannteste Blogger der Welt, doch seit Jahren kann kein Journalist mehr mit ihm sprechen. Wer ist der Mann? «Ich beschreibe ihn in meinem Buch von allen Seiten», sagt seine Frau. «Als Vater, als Bruder, als Freund, als Ehemann, als Liebhaber. All das ist Raif Badawi, ein wunderbarer Mensch.»

Unmenschliche Haftbedingungen

Ensaf Haidar darf – das ist von den saudischen Autoritäten so verordnet – nur homöopathisch dosiert Kontakt mit ihrem Ehemann haben. Er ist ein Vater, den seine drei Kinder seit drei Jahren nicht mehr gesehen haben. Auch kann Ensaf ihren Mann nicht anrufen. Zwar dürfe er mit ihr telefonieren; mal alle zwei, drei Tage, mal wochenlang nicht. Auch dauern die Gespräche nie länger als zehn Minuten. Und weil sie nie weiss, wann er anrufen wird, hat sie das Mobiltelefon immer dabei.

Raif Badawi lebt mit Verbrechern in einer Zelle. Es geht ihm schlecht, weiss seine Frau. Die Haftbedingungen in Saudi-Arabien sind übel: schlechtes Essen, mangelnde Hygiene, keine Lüftung. Das drückt zusätzlich auf die Moral.

Kritik an Glaubenswächtern unerwünscht

Doch was hat Raif Badawi eigentlich verbrochen? Er gründete den Blog «Saudi-arabische Liberale». Dort wollte er politische und gesellschaftliche Diskussionen führen, dort spottete er auch mal gegen die selbsternannten Glaubenswächter. Etwa wenn diese Schokolade am Valentinstag verboten, weil das westlich-dekadent sei.

Verurteilt wurde er schliesslich wegen «Beleidigung des Islam durch elektronische Mittel». Sogar sein Vater sagte sich von ihm los. Ensafs Eltern verlangten, dass sie sich von ihm scheiden lässt. Und im Supermarkt ging ein Fanatiker mit einem Messer auf ihn los.

Warum bloss kann ein kluger, harmloser, aber kritischer Kopf in Saudi-Arabien so viel Hass erzeugen? «Ich weiss es nicht wirklich», sagt sie. Selbst Araber, selbst Saudis, die seine Texte gelesen hätten, hätten anerkennen müssen, dass nichts davon wirklich umstürzlerisch war. Ihr Mann sei ein vorsichtiger Mensch, er habe gewusst, dass er bestimmte rote Linien nicht überschreiten durfte. Raif habe niemanden verletzten wollen.

Hoffen auf Begnadigung und Freilassung

Trotzdem hat er es offenbar getan und den Mächtigen im Land Angst gemacht: Dem verstorbenen König Abdullah, unter dessen Herrschaft er in den Kerker kam, und dem neuen König Salman, der ihn bis heute nicht begnadigen mag.

Seine Frau ist überzeugt, dass ihr Mann auch in seiner Heimat nicht allein sei. Natürlich gebe es dort keine Unterstützung im westlichen Sinn, mit öffentlichen Protesten, mit Artikeln in Zeitungen, mit Kampagnen, erklärt sie. Aber «viele, vor allem junge Saudis, teilen seine Ideen und unterstützen ihn so».

Sie selber jedenfalls will nicht aufgeben. Sie glaubt weiter daran, dass Raif Badawi irgendwann wieder als freier Mann leben kann. Sie glaubt sogar an ein Leben in der Heimat Saudi-Arabien. Auch für sich selber will sie nicht ausschliessen, dass sie dereinst aus dem Exil in Québec zurückkehren könnte. Dort hatte sie ihr Mann mit den drei Kindern hingeschickt, als sich die Schlinge um ihn immer enger zuzog.

Denn wenn Raif Badawi freikäme, dann wäre das doch ein Zeichen dafür, dass Saudi-Arabien ein anderes Land geworden ist.

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