Zum Inhalt springen

International Viele Überschwemmungen in Italien – einfach nur Pech?

Italien hatte in den letzten 30 Jahren europaweit am häufigsten mit Überschwemmungen zu kämpfen. Das Land verzeichnet auch die schlimmsten Schäden, hat eine EU-Studie ergeben. Das hat viel mit mangelndem Umweltbewusstsein zu tun, zeigt ein Besuch in Vernazza in der Cinque-Terre-Region.

Das Hafenbecken von Vernazza ist ein malerischer Ort an der norditalienischen Küste. Fischerboote schaukeln auf dem klaren Wasser, silbrig schimmernde Fische blitzen zwischen den Tauen auf und verschwinden wieder unter den Bootsrümpfen.

Bucht von Vernazza von schräg oben aus den Bergen betrachtet. Klares blaues Wasser.
Legende: Die Bucht von Vernazza, bekannt als Ort entlang der Cinque-Terre-Wanderroute in Ligurien. Keystone

Vor vier Jahren sah es hier ganz anders aus. Das Hafenbecken sei gar nicht mehr zu erkennen gewesen, erinnert sich Danilo Ferri, der hier für die regionale Umweltbehörde regelmässig die Wasserqualität prüft: «Das Hafenbecken war voll mit Schutt und Schrott aller Art. Plastik und Blech zerstörter Autos – alles hat die Schlammlawine mit sich gerissen.»

Er selber sass in seinem Büro, als es passierte. «Ich habe den Ausschlag auf dem Messgerät gesehen. Wir messen die Wassermasse, die bei Regen herunterkommt. Als wir sahen, wie der Zeiger die 350-er-Marke überschritt, wussten wir: Hier geschieht gerade eine Katastrophe.»

Betroffene Bars und Läden wieder offen

Die Katastrophe ist heute übertüncht; mit frischer Farbe an Booten und Hauswänden. Rückblickend meint Ferri: «Alles in allem ist es noch einmal gut gegangen. Es wurden Geschäfte und Restaurants zerstört, aber ich hatte viel mehr Tote erwartet, als die zwei, die man dann leider gefunden hat.»

Die Toten sind begraben, die Restaurants und Bars wieder geöffnet. «Il Baretto» ist ein beliebter Treffpunkt in Vernazza. Die Aussenterrasse mit Designerstühlen und auf alt getrimmtem Holzboden ist für die Touristen. Der schlauchartige Innenbereich aber, wo man morgens im Stehen frühstückt und im Laufe des Tages mehrfach Espresso trinken geht, gehört den Leuten aus dem Ort.

Bei der Überschwemmung am 25. Oktober 2011 war Francesco Bianchi in dieser Bar: «Ich war hier drin, wir waren zu zwölft, und wir sind alle noch am Leben. Aber es war knapp.» Sie hätten wirklich Glück gehabt: «Der Raum hier stand innerhalb von Sekunden unter Wasser. Aber dann ging es wieder etwas zurück, und wir haben uns im hüfthohen Wasser zum Hinterausgang gekämpft. Wenig später stieg das Wasser auf anderthalb Meter. Das wäre das Ende gewesen.»

Unglück mit Verbauungen heraufbeschworen

Glück im Unglück? Dass die Überschwemmung hätte vermieden werden können, glaubt Bianchi nicht. Wie die meisten in Vernazza zeigt er bei der Frage nach den Gründen nach oben, Richtung Himmel: Der Herrgott, die Vorsehung, das Schicksal.

In Wahrheit tragen die Menschen aber grossen Anteil an den immer verheerender werdenden Überschwemmungen. Sie bauten Häuser in die Flussbetten, deckelten die Bäche und betonierten den schmalen Küstenstreifen komplett zu. Ergebnis: Die Flüsse können sich nicht mehr bewegen und das Wasser erhält zu wenig Raum.

Jemand schaufelt Schlamm nach einer Überschwemmung von einer Strasse.
Legende: Dass Italien so viele und teure Unwetterschäden beklagen muss, kommt nicht von ungefähr. Keystone

Und die wilden Müllkippen im Wald sind eine zusätzliche Gefahr, weil der illegal abgeladene Schrott bei starkem Regen ins Tal gespült wird. Santo Grammatico vom WWF Ligurien macht dafür nicht nur Privatleute verantwortlich: «Das sind kleine Betriebe, die sich den Weg zur offiziellen Entsorgungsstelle und auch die Gebühren sparen wollen.»

Das Schlimme sei: «Jeder Müllberg im Wald ermuntert andere, es auch so zu machen. Deshalb finden wir bei unseren Aufräumarbeiten ein Sammelsurium an Industrieschrott und Müll aus Privathaushalten vor, oft auch abgetragene Schuhe.»

WWF will Italiener für die Umwelt sensibilisieren

Solange die Bürger kein Bewusstsein für die selbstverschuldeten Gefahren entwickeln, helfen schärfere Gesetze nichts. Davon sind Umweltschützer und Geologen überzeugt. Silvio Seno, Professor für Geologie an der Universität Pavia, organisiert deshalb mit Kollegen aus ganz Italien eine landesweite Veranstaltungsreihe mit kostenlosen Vorträgen, Ausflügen und Führungen in Risikogebiete. «Wir wollen die Italiener für Umweltthemen sensibilisieren, indem wir Wissen vermitteln. Nur wer informiert ist, kann Gefahren erkennen und vorbeugen.»

Neben einer adäquaten Gesetzgebung brauche es aber auch eine Präventions-Kultur, so Seno. «Bürger, Politiker und Techniker müssen gemeinsam verhindern, dass die Prävention vernachlässigt wird, um Kosten zu sparen.»

Prävention ist auch in Vernazza ein Thema: Neben staatlich finanzierten Massnahmen zur Sicherung der Berghänge hat sich inzwischen eine Gruppe von Freiwilligen gebildet, die regelmässig im Wald aufräumen und kritische Situationen sofort melden. So hoffen sie, Überschwemmungen wie die von 2011 in ihrem Ausmass künftig eindämmen zu können.

Meistgelesene Artikel