SRF News: Weshalb wollen Kollegen aus der eigenen Partei Tony Abbott aus dem Amt spedieren?
Urs Wälterlin: Wie immer in solchen Angelegeheiten: wegen den Meinungsumfragen. Die Zustimmung der konservativen Regierung ist auf 46 Prozent gefallen, während die der oppositionellen Labour-Partei auf 54 Prozent gestiegen ist. Wären heute Wahlen, wäre Abbott weg. Er ist in erster Linie unbeliebt, weil er als Oppositionspolitiker viel versprochen und als Premierminister wenig gehalten hat. Er versprach Stabilität, stattdessen herrscht nun Chaos. Mit vielen Programmen politisierte er schlicht an den Menschen vorbei: Ein Selbstbehalt beim Besuch eines Hausarztes, Massnahmen, die zur Erhöhung von Studiengebühren führen. Das trifft vor allem untere Einkommensschichten.
Abbott ist zudem ein bekennender Skeptiker des Klimawandels. Seine virulente Kampagne gegen erneuerbare Energien kommt nicht überall gut an. Erst kürzlich sagte er, der Klimakiller Kohle sei «gut für die Menschheit». Den Bogen wirklich überspannt hat er aber vor ein paar Tagen, als er de mn englischen Prinzen Philip zum Ritter schlug. Absurd, aber nicht überraschend für einen begeisterten Monarchisten wie Abbott.
Und wie wahrscheinlich ist es nach aktuellem Stand, dass Abbott abgesetzt wird?
Wenn ich das wüsste, würde ich eine Wette abschliessen. Das tun im Moment wohl viele Australier. Zurzeit ändert sich die Situation stündlich. Gerücht treibt Gerücht. Bis jetzt hat noch kein Parlamentarier gesagt, Abbott herausfordern zu wollen.
Nächsten Dienstag könnte es soweit sein. Weshalb?
Die liberale Partei trifft sich jeden Dienstag. Ein Abgeordneter hat nun beantragt, eine Motion über den Verbleib von Abbott im Amt einzubringen. Wird diese Motion angenommen, steht einem Herausforderer nichts mehr im Weg: Er muss dann einfach die Mehrheit der Stimmen erhalten. Im australischen System ist der Chef der Partei, welche die Wahlen gewinnt, auch der Chef der Regierung. Das Amt ginge also an den neuen Parteichef.
Das heisst aber auch: Ein Wechsel kommt nur dann zustande, wenn sich andere Kandidaten zur Verfügung stellen und gewählt werden. Gibt es denn zum jetzigen Zeitpunkt solche Kandidaten?
Momentan steht der Kommunikationsminister Malcolm Turnball im Rennen. Aber auch er hat noch nichts gesagt. Dennoch ist er für viele Parteileute klar der Favorit. Aus einem einfachen Grund: Wenn man die Australier fragt, wer ihr Wunsch-Premierminister ist, dann lautet die Antwort: «Turnball». Das war sogar schon unter der früheren Regierung der Labour-Partei so. Er ist ein früherer Investment-Banker und – im Gegensatz zu Abbott – nicht ein erzkonservativer Politiker, sondern ein wirklich liberaler.
Ist demzufolge Turnball ab nächstem Dienstag der künftige Premierminister von Australien?
Niemand weiss, ob er die Stimmen bekommen würde. Denn die sehr dominante, ultra-konservative Seite der Partei hasst ihn buchstäblich. Vor allem deshalb, weil er den Klimawandel ernst nimmt und als Bedrohung sieht. Das bringt ihn in Konflikt mit der mächtigen Kohleindustrie. Sein liberales Denken kostete ihn schon 2010 den Kopf. Damals war er der Parteichef in der Opposition. Als er sich zu stark für Massnahmen gegen den Klimawandel einsetzte, startete der konservative Flügel der Partei einen Putsch, angeführt von Abbott.
Das Gespräch führte Tina Herren.