Undank ist der Politiker Lohn. Dieser Satz dürfte Islands Regierungspolitikern momentan häufig durch den Kopf gehen. Bei der Parlamentswahl am Samstag steht die Mitte-Links-Koalition vor einer Niederlage. Dies, obwohl es dem Land nach dem Bankenkollaps von 2008 wieder erstaunlich gut geht.
Die heimische Konkurrenz und auch der Internationale Währungsfonds stellen der rot-grünen Regierung unter Regierungschefin Jóhanna Sigurdardóttir ein gutes Zeugnis aus. Sie hatte 2009 die Mehrheit erobert. Damals war die Insel – wie heute Zypern – faktisch bankrott. Nun boomt der Tourismus wieder, die Fischerei floriert, der Staatshaushalt ist fast schon wieder ausgeglichen und die Arbeitslosigkeit unter fünf Prozent gesunken.
Auf der anderen Seite sind aber die meisten Haushalte noch stark verschuldet. Viele können ihr Haus fast nicht bezahlen, sagt SRF-Nordeuropakorrespondent Bruno Kaufmann. Zudem gibt es immer noch Kapitalkontrollen. Das heisst, die Isländer können nicht einfach frei Währungen tauschen und ins Ausland reisen. Sie fühlen sich deshalb eingeschränkt.
Alte Mehrheiten und neue Parteien
Nach Meinungsumfragen wird die bisherige rot-grüne Mehrheit nur noch die Hälfte der Stimmen machen. Dies im Gegensatz zu den bürgerlichen Rechtsparteien. Diese wurden bei den letzten Wahlen für die Krise abgestraft. Nun können sie damit rechnen, wieder an die Macht zurückzukehren. Dazu gebe es aber auch neue Parteien, die wahrscheinlich ins Parlament einziehen, sagt Kaufmann. Etwa die Piratenpartei oder eine Partei mit Namen «glänzende Zukunft», angeführt vom Bürgermeister von Reykjavik, der zugleich auch Komiker ist.
Auch die traditionellen Parteien treten mit neuen Leuten an. Die bisherige Regierungschefin Jóhanna Sigurdardóttir kandidiert aus Altersgründen nicht mehr. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat ist nun der frühere Wirtschaftsminister Árni Páll Árnason. Dieser hat schon im Vorfeld eingestanden: «Uns hat der Blick nach vorn gefehlt».
Sein härtester Konkurrent und der wahrscheinliche neue Regierungschef ist der 38jährige Sigmundur Davíd Gunnlaugsson von der liberalen Fortschrittspartei. Mit derzeit 30 Prozent in den Umfragen könnte er eine Koalition mit der konservativen Unabhängigkeitspartei bilden. Diese traditionell grösste Partei Islands holte im Endspurt aber mächtig auf. Sie lag in letzten Umfragen bei 27 Prozent. Möglicherweise wird also ihr Kandidat Bjarni Benediktsson doch noch das Spitzenamt in der Regierung zurückerobern.
EU-Beitritt vorläufig vom Tisch
Wie auch immer die genaue Sitzverteilung aussehen wird: Das neue Parlament wird bürgerlich dominiert sein. Das hat auch Auswirkungen auf die Verhandlungen mit der EU. 2009 hat Island das Beitrittsgesuch eingereicht. Rein formal ist Island von einer Mitgliedschaft nicht mehr so weit entfernt. Doch als einzige der führenden Parteien treten nur die Sozialdemokraten für die Fortsetzung der Verhandlungen mit Brüssel ein.
«Viele Isländerinnen und Isländer haben das Gefühl, dass das Land noch nicht so weit ist», sagt Korrespondent Kaufmann. Einer der Gründe ist die Fischerei: Die Isländer befürchten, dass die wichtigen Fischereirechte bei einem EU-Beitritt zu stark eingeschränkt werden könnten. Kaufmann ist daher überzeugt, dass die Verhandlungen eingestellt werden.
Sogar der sozialdemokratische Kandidat Árnason, erklärte: «Da ist die Luft raus. In den nächsten zehn Jahren wird das wohl nichts mehr.»