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International Warten auf den «After-Madiba-Effect»

Wie geht es Nelson Mandela? Was wird passieren, wenn er stirbt? Über das seltsame Warten auf den Tod eines berühmten Mannes.

«Stimmt es, dass Madiba gestorben ist?» fragt mich eine Freundin am Telefon. «Nein, soviel ich weiss, lebt er noch», antworte ich. Doch dann: Was weiss ich schon? Wie alle anderen Medienvertreter erhalte ich die Pressemitteilungen der Regierung, meist gegen Abend, wenn Präsident Jacob Zuma Zeit findet, den ehemaligen Präsidenten Nelson Mandela im Spital in Pretoria zu besuchen.

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Wie alle Journalisten untersuche ich diese Mitteilungen mit der Lupe auf versteckte Botschaften. Was ist der Unterschied zwischen ‹serious› und ‹critical› wenn es um Leben und Sterben geht? Wann beginnt der Sterbeprozess, wann darf er überhaupt angesprochen werden, ohne diesen wunderbaren Mann zu entwürdigen?

Anhänger von Nelson Mandela
Legende: Anhänger von Nelson Mandela versammeln sich vor seinem Haus in Soweto. Reuters

Das sind Fragen, die mich in den Schlaf verfolgen. Und auf die ich keine Antworten finde. Noch nie in meiner journalistischen Karriere habe ich auf den Tod eines berühmten Mannes warten müssen. Noch nie habe ich miterlebt, wie so viele andere darauf warten. Es heisst, was jetzt geschehe, werde die Karrieren von künftigen Journalisten bestimmen.

Ich verstehe, dass der Tod von Nelson Mandela ein internationales Ereignis ist. Der Hype um seinen Tod ist so gross wie damals, 1994, als er zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas gewählt worden ist. Seither haben sich nie mehr soviele Medienvertreter aus der ganzen Welt in Südafrika versammelt. Doch 1994 hat Nelson Mandela Geschichte gemacht. Weltgeschichte.

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Und heute? Ist es sein Tod, der nun Geschichte machen wird? Mir scheint, dass alle auf das DANACH warten. Was wird nach seinem Tod geschehen? Diese Frage wird mir ständig gestellt. Wird Südafrika im Chaos versinken, werden sich die Weissen und die Schwarzen aufs Blutigste bekämpfen? Ist Nelson Mandela in der Tat die einzige Person, die den Frieden unter den Rassen aufrecht erhalten kann?

Ich persönlich glaube das nicht. Gestern sass ich im Flugzeug neben dem Mann, der mithalf, Mandelas berühmtes Buch ‹A Long Walk to Freedom› zu schreiben und der für ihn arbeitete. Er erzählte, wie schon 1999, als Mandela als Präsident zurücktrat, Panik in der Regenbogennation ausgebrochen sei und wie die schwarzen wie die weissen Menschen das Schlimmste befürchteten. Er nannte dies den ‹After Madiba Effect›. Doch damals, so schmunzelte er, sei nichts dergleichen eingetreten. Das Leben sei weitergegangen wie zuvor. Und dies werde auch nach seinem Tod der Fall sein.

Zur Person

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Cristina Karrer ist freie Journalistin und als Korrespondentin für SRF tätig. Sie lebt und arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Johannesburg. Die studierte Geografin und Soziologin hat vorher aus Kurdistan und Irak berichtet.

Mandela hat schon lange geschwiegen

Nelson Mandelas letzter öffentlicher Auftritt war vor drei Jahren, an der Fussballweltmeisterschaft. Doch schon damals hat er keine Rede mehr gehalten, sondern nur gewunken. Seit ich in Südafrika lebe, und das sind nun zwölf Jahre, habe ich ihn zweimal aus der Nähe gesehen. Das erste Mal, als er die Nelson Mandela Brücke in Johannesburg einweihte, stand er etwa fünf Meter von mir entfernt. Ich fühlte mich bereits extrem privilegiert und hatte Gänsehaut.

Einige Jahre später war er der Ehrengast bei der Präsentation eines Bildbandes über ihn. Ich nahm am Event teil, weil eine Kollegin meinte, dass dies vielleicht sein letzter öffentlicher Auftritt sei und ich die Aufnahmen gut gebrauchen könne, wenn er sterben werde. Meine Kollegin wurde schon damals, vor ungefähr 8 Jahren, von amerikanischen Fernsehstationen beauftragt Interviews mit Mandelas Weggefährten zu führen – Interviews für eine Eulogie.

Madibas öffentliche Auftritte wurden spärlicher, die Politik der Regierungspartei, des ANC, kommentierte er schon lange nicht mehr. Dennoch gilt er bis heute als DER moralische Kompass Südafrikas. Doch hat er die Morde an weissen Bauern, die sich in den letzten Monaten ausserhalb von Johannesburg häuften, verurteilt? Nein. Hat er das Massaker an den Minenarbeitern von Marikana kommentiert? Nein. Und die unzähligen, teilweise gewalttätigen Proteste landauf, landab gegen die Regierung? Ebenfalls nicht.

Südafrika ist seit längerem – oder immer wieder – in Aufruhr. Nur hat dies die Weltpresse nicht gross interessiert. Und wir, hier in Südafrika, haben bisher damit gelebt. Und irgendwie werden damit weiterhin zurecht kommen müssen. Auch nach Mandelas Tod.

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