International - «Wenn die News vor meiner Nase sind, drehe ich mich um»
Bilder von Flüchtlingslagern zeigen meist das tägliche Elend. Nicht so die Fotos von Muhammed Muheisen – sie zeigen die andere Seite. Im Gespräch erzählt er, warum ein Fotograf unsichtbar sein sollte und in welchen Momenten die Kamera in der Tasche bleibt.
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Legende:
Pakistanische Kinder, die von ihren Familien zu Protesten gegen die Regierung von Nawaz Sharif mitgenommen wurden, finden unter einem Lastwagen Schutz vor der Sonne – und essen ein Eis (Islamabad, August 2014).
Keystone/Mohammed Muheisen
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Legende:
Nachdem Polizisten in Islamabad eine Strasse gesperrt haben, spielen dort Kinder mit alten Reifen (Pakistan, August 2014).
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Legende:
Ein afghanisches Mädchen in einem armen Vorort ausserhalb von Islamabad spielt mit einem Drachen (August 2014).
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Legende:
Ein Mädchen in Islamabad schläft während des Unterrichts in einer Moschee (Pakistan, August 2014).
Keystone/Mohammed Muheisen
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Legende:
Südafrikaner trainieren in einem öffentlichen Park in Soweto, ausserhalb von Johannesburg (Juli 2014).
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Legende:
Ziegen essen Blätter von einem hölzernen Wagen in einem Vorort von Islamabad (Pakistan, März 2014).
Keystone/Mohammed Muheisen
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Legende:
Polizist Mian Asif hält ein Foto seines Kollegen und Freundes Muhammad Riaz in den Armen, der bei einem Selbstmordanschlag ums Leben kam (Islamabad, Pakistan, März 2014).
Keystone/Muhammad Muheisen
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Legende:
Ein pakistanisches Kind freut sich über den Ritt auf einem Karrusell-Pferdchen (Islamabad, Pakistan, November 2013).
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Ein Syrer fährt in Aleppo an Häusern vorbei, die nach Attacken des Assad-Regimes verlassen wurden (September 2012).
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Ein Mädchen schläft beim syrisch-türkischen Grenzübergang Bab al-Salameh neben dem Gepäck ihrer Familie, die aus Syrien geflüchtet ist. Die Familie hofft, in ein Flüchtlingslager in der Türkei zu gelangen (August 2012).
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Ägyptische Demonstrantinnen posieren für ein Foto während einer Kundgebung gegen das Militär (Kairo, Februar 2012).
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Legende:
Ein Strassenzahnarzt behandelt in Rawalpindi einen Kunden (Pakistan, Februar 2012).
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Legende:
Mohammed Ibraheem (14) hofft, seine Ballone in Kabul verkaufen zu können (Afghanistan, Oktober 2011)
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Legende:
Ein afghanischer Schuhmacher sitzt in seinem Stand und wartet auf Kunden (Kabul, Oktober 2011).
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Legende:
Afghanische Jugendliche spielen auf einem zerstörten Bus vor dem Palast des früheren Königs Darul Aman. Der Palast wurde während des Bürgerkriegs zerstört (Kabul, Oktober 2011).
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Legende:
Hamas Mohammed (5) schaut auf, während sie mit Frauen betet, die an einem Protest gegen den jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh teilnehmen (Sanaa, Yemen, April 2011).
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Kinder spielen in Sanaa auf der Strasse (Jemen, November 2010).
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Ein afghanischer Flüchtlingsbub richtet seine Spielzeugpistole auf den Fotografen (Rawalpindi, Pakistan, März 2010).
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Ein palästinensischer Knabe reagiert wütend, als ein israelischer Soldat ihm und seinem Vater verbietet, sich ihrem Haus zu nähern, während anti-israelische Proteste stattfinden (Jerusalem, Israel, Januar 2009).
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Ein Iraker jubelt, während er auf einem brennenden Humvee der US-Armee steht. Das Foto ist Teil einer Serie von Bildern, mit denen die Fotoagentur Associated Press 2005 den Pulitzer Preis in der Sparte Breaking News gewann.
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Ein afghanischer Flüchtlingsknabe reitet eine Kuh zu einem Fluss, in den Vororten von Islamabad (Pakistan, August 2014).
Keystone/Muhammed Muheisen
SRF Online: Als Fotograf sind Sie oft in Krisengebieten oder Flüchtlingslagern unterwegs. Wie reagieren Menschen, die sich in einer solch schwierigen Lage befinden, auf Ihre Präsenz?
Muhammed Muheisen
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Der Jordanier (33) ist in Jerusalem aufgewachsen. Er arbeitet in Islamabad (Pakistan) für die Fotoagentur AP. Er fotografiert v.a. im Nahen Osten. Einer seiner Schwerpunkte sind Alltagsszenen aus afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan. 2005 und 2013 hat er für seine Fotografien der Kriege in Irak und Syrien den Pulitzer Preis gewonnen.
Muhammed Muheisen: Das wichtigste ist wohl, sich bewusst zu sein, was diese Leute durchmachen. Sie haben alles verloren: ihren Besitz, ihr Heim, ihre Hoffnungen. Eine fürchterliche Situation also. Da kann man nicht einfach kommen, einige Fotos machen und wieder gehen – auch wenn es Leute gibt, die das tun. Aber das ist nicht meine Art. Ein Fotograf muss sich Zeit nehmen, die Leute kennenlernen, und dann so sehr mit dem Hintergrund verschmelzen, dass er unsichtbar wird.
Unsichtbar?
Die Menschen müssen sich daran gewöhnen, einen zu sehen, bis es ihnen nichts mehr ausmacht, dass man da ist. Es ist nie einfach, in einem Flüchtlingslager zu fotografieren. Aber es hilft, wenn man die Menschen und ihre Privatsphäre respektiert. Wenn die Situation zu angespannt ist, um ein Foto zu machen, gibt es eben kein Foto.
Können Sie sich diese Zeit auch nehmen, wenn Sie in einem Kriegsgebiet wie Syrien unterwegs sind?
Natürlich ist es in einem Land wie Syrien schwieriger, weil man ständig Luftangriffe befürchten muss und sich deshalb nicht zu lange an einem Ort aufhalten kann. In einem solchen Fall gehe ich über mehrere Tage hinweg immer wieder hin, bis die Menschen mich nicht mehr als Fremden wahrnehmen.
Gab es Momente, in denen die Leute Sie gebeten haben, keine Fotos zu machen?
Nein. Wenn ich merke, dass die Situation heikel ist und die Menschen nicht wollen, dass ich fotografiere, lasse ich die Kamera in der Tasche. Ein Fotograf sollte aufmerksam genug sein, das selber zu merken.
Wenn ich mitten im Geschehen bin, fotografiere ich alles, was um mich herum passiert. Ich glaube nicht, dass es Grenzen gibt. Wenn ich mir darüber Gedanken mache, kann ich meinen Job nicht mehr machen. Es ist nicht an mir, zu entscheiden, was die Leute sehen oder nicht sehen sollen. Meine Verantwortung ist es, ein Ereignis so zu zeigen, wie es passiert ist. Wenn ich ein Ereignis nicht zeige, ist es nie passiert.
Legende:
Muheisen während der Arbeit.
zvg
Was, wenn es Tote gibt oder andere grauenhafte Szenen?
Ich fotografiere alles, denn es ist die Realität. Was publiziert wird und was nicht, dafür sind bei der AP [die Fotoagentur, für die Muheisen arbeitet, Anm. d. Red.] die Bildredaktoren zuständig. Sie sind in diesen Dingen erfahrener.
Hat es Momente gegeben, in denen Sie sich entschieden haben, keine Fotos zu machen?
Ja, davon gab es einige. Zum Beispiel als ich vor einem Jahr in Peschawar an einer Beerdigung war. Dort war in einer Kirche eine Bombe explodiert. Ich war bei einer Familie mit dabei, als sie versuchten, die Leichen in den Särgen zu identifizieren. Die Mutter suchte zwischen den toten Körpern nach ihrem Sohn, eine Schwester suchte ihre Schwester. Es war herzzerreissend. Ich schaffte es nicht, Fotos zu machen.
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Legende:
Fouad (14) aus Syrien lebt im Zaatari Flüchtlingslager in Mafrak, Jordanien. «Die Kinder in den Lagern haben Angst vor Kameras», sagt Mohammed Muheisen. «Doch nachdem ich eine Weile beim Spielplatz im Lager gesessen hatte, kamen einige von selber auf mich zu und fragten, ob ich von ihnen Fotos machen könne.»
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Batoul, 6 Jahre alt. Die Uno-Organisation Unicef schätzt, dass seit dem Kriegsausbruch mehr als 10'000 Kinder in Syrien gestorben sind.
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Legende:
Hatem, 13 Jahre alt.
Keystone/Mohammed Muheisen
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Legende:
Yasmeen, 9 Jahre alt.
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
Ammar, 10 Jahre alt.
Keystone/Mohammed Muheisen
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Legende:
Amal, 11 Jahre alt.
Keystone/Mohammed Muheisen
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Legende:
Mohammed, 8 Jahre alt.
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Legende:
Samah, 5 Jahre alt.
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Ihre Bilder zeigen das Leben in Krisengebieten oft aus einem anderen, ungewohnten Blickwinkel.
Ich versuche, das zu zeigen, was nicht in den Schlagzeilen vorkommt. Wenn sich die News vor meiner Nase abspielen, drehe ich mich um und blicke in die andere Richtung. Das alltägliche Leben hört nicht auf, wenn es einen Konflikt gibt. Das ist es, was ich zeigen will.
Wie sind Sie dazu gekommen, eine Bildserie von syrischen Flüchtlingskindern zu machen?
Ich hatte eine der seltenen Bewilligungen erhalten, um in einem jordanischen Flüchtlingslager während zwei Tagen zu fotografieren. Am ersten Tag ging ich hin, um mir das Ganze einfach mal anzuschauen. Und ich merkte, wie ich automatisch zum Spielplatz ging und mich hinsetzte. Die Kinder dort haben Angst vor Kameras. Doch nach einer Weile kamen einige von ihnen von selber auf mich zu und fragten, ob ich von ihnen Fotos machen könne. Nachdem das Eis erst einmal gebrochen war, kamen sie alle. So ist das entstanden.
Afghanische Kinder im Flüchtlingslager in Pakistan
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Legende:
Vier Jahre lang ist Fotograf Muhammed Muheisen immer wieder in dieses afghanische Flüchtlingslager ausserhalb von Islamabad gegangen. Dabei hat er die Kinder aufwachsen sehen, die dort leben – und im Januar 2014 mit ihnen eine Fotoserie gemacht. Im Bild: Madina Juma'a, 4 Jahre alt.
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
«Mir war wichtig, dass diese Kinder einen Namen haben», sagt Muheisen. «Ich wollte nicht, dass es wie sonst immer in der Bildlegende heisst: ein afghanischer Flüchtlingsknabe.» Im Bild: Hayat Khan, 8 Jahre alt.
Keystone/Muhammed Muheisen
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Legende:
«Das Echo, das ich auf die Bilder bekommen der afghanischen Flüchlingskinder habe, war überwältigend», sagt Muheisen. «Die Leute haben geschrieben und Kleider für die Flüchtlinge geschickt.» Im Bild: Zarlakhta Nawab, 6 Jahre alt.
Keystone/Muhammed Muheisen
Bevor Sie diese Bilder gemacht hatten, hatten Sie in Pakistan eine ähnliche Serie mit afghanischen Flüchtlingskindern gemacht.
Ich lebe in Pakistan, wo viele afghanische Flüchtlinge seit Dutzenden von Jahren leben. Seit ich 2010 in Islamabad angefangen habe zu arbeiten, bin ich oft in diese Flüchtlingslager gegangen. Es ist schwierig, Zugang zur afghanischen Flüchtlingsgesellschaft zu bekommen. Die Menschen sind gebrochen und leben in Slums. In den vier Jahren, in denen ich die Lager besuchte, habe ich gesehen, wie die Flüchtlingskinder aufwachsen. Ich war der Meinung, dass die Menschen darüber Bescheid wissen sollten. Als Fotojournalist ist es meine Verantwortung, über Ereignisse zu berichten, die in Vergessenheit geraten sind.
Der Fotoblog des Time Magazine, Time LightBox, hat über Ihre Bildserie berichtet. Haben Sie darauf Reaktionen erhalten?
Ja, ich war von den vielen Antworten regelrecht überwältigt. Ich habe hunderte Mails erhalten von Leuten die fragten, wie sie helfen könnten. Einige haben Kleider geschickt, die ich danach ins Lager gebracht habe. Die Menschen sind in Tränen ausgebrochen, als sie die Geschenke gesehen haben. Sie sagten, «Die Leute haben uns nicht vergessen». Meine Bilder haben ein Echo ausgelöst, und das ist etwas, das sich jeder Fotojournalist erhofft.
Was ist Ihre Motivation, diesen Beruf auszuüben?
Ich will zeigen, wie das Leben in anderen Teilen der Welt aussieht. Ich möchte, dass die Leute darauf aufmerksam werden, und hoffe, dass sich am Ende etwas ändert. Aber damit das geschieht, muss man den Leuten erst die Augen öffnen.
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