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Karte der Region Bergkarabach.
Legende: Unruhiger Kaukasus: Nordwestlich von Armenien und Aserbaidschan liegt Georgien, im Norden das übermächtige Russland. SRF

International Wie sich Russland den Konflikt um Bergkarabach zunutze macht

Wladimir Putin bekommt heute Besuch von Armeniens Staatsoberhaupt Sargsjan. Hauptthema der Gespräche dürfte der Konflikt um Bergkarabach sein, bei dem Moskau vermitteln soll. Doch eigentlich habe Russland nur geringes Interesse daran, die Streitigkeiten zu beenden, sagt Journalist Marcus Bensmann.

Die Region um Bergkarabach befindet sich zwar auf dem Staatsgebiet Aserbaidschans, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Der Konflikt um das Gebiet brach nach dem Ende der Sowjetunion aus und ist nie endgültig gelöst worden. Erst im April gab es dort erneut Kämpfe, ehe sich die Länder auf eine Waffenruhe einigten.

Der Konflikt ist massgeblicher Grund, weshalb Armeniens Präsident Sersch Sargsjan heute nach Moskau reist.

Marcus Bensmann

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Während 20 Jahren arbeitete Marcus Bensmann als freier Journalist in Zentralasien und im Kaukasus. Er berichtete 2005 als einer von wenigen Journalisten vor Ort über die Anfänge des Machtumsturzes in Kirgisistan und das Massaker von Andischan (Usbekistan).

Heute arbeitet Bensmann für das deutsche Non-Profit-Recherchezentrum correctiv.org .

SRF News: Was werden Putin und Sargsjan in Russland konkret besprechen?

Marcus Bensmann: Für Armenien ist Russland die wichtigste Sicherheitslinie. Armenien befindet sich in einer wirtschaftlichen Umklammerung. Weder der östliche noch der westliche Nachbar (Türkei und Aserbaidschan) treiben Handel mit dem Land.

Militärisch sind die Fronten jetzt zwar ruhig, aber noch immer ist der Konflikt ungelöst. Und ohne Militärhilfe könnte sich Armenien gegen Aserbaidschan nicht durchsetzen. Insofern braucht der armenische Präsident von Russland die uneingeschränkte Solidarität, um sich sowohl aussen- wie auch innenpolitisch an der Macht zu halten.

Hat Russland auch wirtschaftliche Interessen in Armenien?

In Armenien selber nicht – das Land hat weder Bodenschätze noch Gas. Aber Armenien liegt natürlich an einer strategisch günstigen Position, nämlich in diesem kaukasischen Landstreifen zwischen kaspischem Meer und schwarzem Meer. Das ist eine potenzielle Rohstoffroute, um die Gas- und Ölreserven vom kaspischen Meer nach Europa zu bringen.

Zudem köchelt Russland seit dem Zerfall der Sowjetunion sehr gezielt die dortigen sogenannten eingefrorenen Konflikte, sowohl in Georgien als auch in Armenien. Und in Armenien haben sie eine Doppelrolle inne. Auf der einen Seite unterstützen sie das armenische Militär, aber auf der anderen Seite pflegt Russland auch enge Kontakte zu Aserbaidschan – dem Feind in diesem Konflikt um Bergkarabach.

Das heisst, Russland hat keinerlei Interessen, dass sich dieser Konflikt um die Region Bergkarabach effektiv löst?

Das ist meine Sichtweise. Betrachtet man die politische Ausrichtung Russlands nach dem Zerfall der Sowjetunion, dann wird deutlich, wie man ganz intensiv diese sogenannten «frozen conflicts» nutzt. Einerseits um in diesen Regionen den Ländern, in denen diese Konflikte schwelen, die Loslösung von Russland zu versagen. Und andererseits um die Regionen unter Kontrolle zu behalten. Russland will nicht, dass dieser Konflikt aufflammt – aber er soll schön glimmen, um so alle Beteiligten am langen Band führen zu können.

Innenpolitisch gab es in Armenien zuletzt grössere Unruhen. Bewaffnete Oppositionelle hatten letzten Monat in der Hauptstadt Eriwan eine Polizeistation unter ihre Kontrolle gebracht. Welche Interessen hatten die Angreifer verfolgt?

Ehemalige Veteranen von Bergkarabach hatten sich nicht wertgeschätzt gefühlt. Einer ihrer Anführer war in Haft. Ihn wollten sie freipressen.

Was dann passiert ist, war interessant. Die Menschen solidarisierten sich mit diesen Veteranen. Und es kam gleichzeitig zu friedlichen Demonstrationen gegen die Korruption und den Machtmissbrauch des armenischen Präsidenten. Es wurde also ein politischer Protest daraus. Das zeigt im Grunde genommen die Fragilität des armenischen Staates.

Wie gross ist denn die Gefahr, dass die Unruhen weiter schwelen oder dass da erst recht ein gröberer Konflikt ausbricht?

Alle Staaten der ehemaligen Sowjetunion leiden unter Korruption und Machtmissbrauch. Armenien gehört im Vergleich zu den post-sowjetischen Staaten aber noch zu den demokratischen, etwa vergleichbar mit Kirgisien oder Georgien.

Die Menschen in Armenien sind sehr westlich orientiert. Das kommt aufgrund der grossen armenischen Diaspora in Kanada, in Europa, in den USA. Und die Verbindungen sind nach Europa gerichtet. Aber aufgrund der militärischen Abhängigkeit ist es Putin gelungen, den Präsidenten Armeniens auf Kurs zu bringen und ihn in die eurasische Zollunion zu zwingen. Das hat unter den Menschen für grosse Unruhe gesorgt. Nach wie vor ist für sie Europa die erste Wahl.

Armeniens Präsident Sersch Sargsjan.
Legende: Armeniens Präsident Sersch Sargsjan. Keystone

Diese Nähe zu Russland, die Armeniens Regierung pflegt: Wie steht die Bevölkerung dazu?

Gespalten. Auf der einen Seite sieht man den Konflikt gegen Aserbaidschan und die von den Armeniern besetzte Provinz Bergkarabach. Den Menschen ist schon klar, dass man ohne russische Hilfe nicht lange dort aushalten könnte. Aber der politische Preis, nämlich eine Abwendung von Europa, ist sehr hoch. Und diese enge Bindung zu Putin verhindert auch innere Reformen in dem Land.

Wie gross ist der Protest ist denn der Widerstand gegen den Präsidenten Sargsjan – wie fest sitzt er noch im Sattel?

Es droht jetzt nicht ein morgiger Machtsturz. Aber diese Entwicklung um die gestürmte Polizeistation zeigt, dass die Menschen bereit sind, auf die Strasse zu gehen. Das kann in diesen Ländern sehr schnell gehen. Für den Moment ist es Sargsjan gelungen, die Situation zu entschärfen. Aber die Schnelligkeit des Aufblitzens und die Bereitschaft der Menschen, bewaffneten Kämpfern Solidarität entgegenzubringen, sollte dem Präsidenten zu denken geben.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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