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International «Wir können nicht gegen Russland Frieden schaffen»

Auch der Europarat sucht Antworten auf die Krise in der Ukraine. Zur Debatte steht der befristete Entzug des Stimmrechts der russischen Delegation, denkbar ist aber auch ein Ausschluss der Russen. Welcher Weg ist der richtige? SP-Nationalrat und Europarats-Abgeordneter Andreas Gross antwortet.

Was kann der Europarat gegen Russland wegen des Übergriffs auf die Ukraine denn unternehmen?

Da muss man zunächst festhalten, dass die Parlamentarier Russland nicht ausschliessen können. Sie haben andere Möglichkeiten. Ausschliessen können sie nur die Botschafter und Minister. Die Parlamentarier können dies zwar beantragen, aber wir wissen, dass die Minister dies nie tun würden.

Warum nicht?

Es ist die raison d’être, eine der ganz grossen Rechtfertigungen der Existenz des Europarats, dass er eben gerade mit den schwierigsten Teilen Europas in Kontakt bleibt und mit ihnen arbeitet. Dazu zählen die Ukraine, die Türkei, die Kaukasien-Staaten und Russland. Das sind die schwierigsten Teile Europas. Der Europarat befasst sich seit 20 Jahren damit. Er hat riesige Programme zur Entwicklung der Zivilgesellschaft, der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Und wenn Russland nicht dabei wäre, dann gäbe es keine internationale Organisation, die in einem so engen Kontakt mit Russland arbeiten könnte.

Der Europarat steht für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Macht er sich denn jetzt nicht unglaubwürdig, wenn er heute kein deutliches Zeichen gegenüber Russland setzt?

Die grosse Frage ist: Was ist ein deutliches Zeichen? Die Parlamentarier haben nur drei Möglichkeiten: Nichts tun, sie die Stimmrechte entziehen oder sie können die russische Delegation ganz aus den Sitzungen verbannen. Aber alle Alternativen zur Gewalt haben mit Reden zu tun – mit Kommunikation. Deshalb wird die Mehrheit die Russen höchstwahrscheinlich nicht ausschliessen wollen, sondern die Sanktion wird sich auf den Entzug des Stimmrechtes bis Ende Jahr beschränken. Die Stimmrechte werden von Jahr zu Jahr gewährt.

Würde denn dieser temporäre Ausschluss bedeuten, dass Russland danach wieder bedingungslos zugelassen wird?

Nein, bedingungslos nicht. Denn jede Delegation bekommt jeden Januar die Rechte einer parlamentarischen Delegation. Das bedeutet, immer im Januar kann über jede Delegation und deren Möglichkeiten befunden werden. Es gibt einige, die angekündigt haben, dass sie im nächsten Januar die Russen nicht einfach wieder aufnehmen werden. Falls die Krim bis dann nicht wieder an die Ukraine zurückgegeben wurde.

Porträt von Andi Gross.
Legende: «Ein Stimmrechtsentzug ist keine Alibiübung», sagt Andi Gross. Keystone / Archiv

Die russische Delegation hat bereits angetönt, dass ein temporärer Stimmrechtsentzug für sie nicht so schlimm sei. Wäre dies also nicht eher eine Alibiübung als eine Zeichensetzung?

Nein, es ist keine Alibiübung. Der Punkt ist, die Parlamentarier haben sanktionsmässig wenige Möglichkeiten. Es gibt aber noch andere Wege, etwas zu tun, um den Russen zu zeigen, dass das was sie gemacht haben, völlig inakzeptabel ist. Grenzen werden heute nicht einfach unilateral mit Gewalt verschoben. Wenn man glaubt, das tun zu müssen, dann versucht man zu verhandeln und einigt sich.

Einer der Vorschläge, den ich als Fraktionspräsident gemacht habe, hat gute Chancen am Freitag im Büro beschlossen zu werden. Dabei geht es um eine gemeinsame Untersuchungskommission. Sie soll auch den Behauptungen nachgehen, die falsch sind. Zum Beispiel, dass die Russen in der Krim bedroht gewesen seien. Dabei findet auch ein Lernprozess statt. Das ist eine viel effektivere Art, die Russen zur Erkenntnis zu zwingen, dass sie einiges falsch gemacht haben, als sie einfach aus dem Rat hinauszuwerfen und nicht mehr mit ihnen zu reden.

Aber gerade Russlands Präsident Wladimir Putin hat bis jetzt ziemlich unbeeindruckt auf Appelle und Überzeugungsversuche reagiert. Sie glauben aber, das werde sich jetzt ändern?

Zu Putin habe ich nichts gesagt. Er hat sich seit 15 Jahren dem Dialog entzogen, aber er ist nicht ganz indifferent dem Europarat gegenüber. Es gibt Leute, die heute glauben, es sei ein Fehler gewesen, dass Russland dem Europarat 1996 beigetreten ist. Sie bezeichnen den Beitritt als Zeichen der Schwäche und suchen deshalb einen Vorwand aus dem Europarat auszutreten. Solchen Positionen wollen wir keine Nahrung geben.

Putin ist aber nicht Teil davon, er hat im höchsten Gremium beschlossen, dass man wegen Stimmrechtsentzug nicht den Europarat verlassen würde. Das heisst doch, dass er nicht glaubt, er könne sich aus dieser Gemeinschaft der zivilisatorischen Errungenschaft einfach verabschieden, ohne nicht auch Schaden zu erleiden.

Was ist für Sie das Hauptargument, wieso man Russland nicht ausschliessen sollte?

Die Welt braucht eine Plattform der Auseinandersetzung, des Dialogs, der Diskussion. Dafür ist der Europarat der prädestinierte Ort. Dort können Westeuropa und Osteuropa mit Russland diskutieren, zusammenarbeiten. Wir können Frieden in Europa nicht gegen Russland schaffen. Wir müssen das gemeinsam mit Russland versuchen. Deshalb wäre es völlig falsch, wenn man versuchen würde, die russische Delegation auszuschliessen.

Interview: Susanne Schmugge

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