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Symbolbild: Arbeiter montieren neue Kabel in luftiger Höhe auf einem Strommast.
Legende: Neue Strom-Überlandleitungen würden Arbeitsplätze schaffen, sagt Kirchgässner. Keystone

International Woher soll bloss die Million Jobs kommen?

Das von EU-Kommissionspräsident Juncker vorgestellte Investitionsprogramm ist sehr ambitiös. Vielleicht zu ambitiös, findet der emeritierte St.Galler Wirtschaftsprofessor Gebhard Kirchgässner.

SRF: Setzt die EU-Kommission mit ihrem Investitionsprogramm am richtigen Ort an? Braucht die europäische Wirtschaft einen zusätzlichen Investitionsschub?

Professor Kirchgässner: Europa braucht sicher Investitionen. Allerdings ist sehr fraglich, ob durch dieses Programm in relevantem Umfang Investitionen angestossen werden können. Ein solches Programm ist vor allem dann sinnvoll, wenn die Wirtschaft plötzlich einbricht, wie 2008. Heute bestehen Strukturprobleme vor allem in Südeuropa. Diese kann man mit einem Investitionsprogramm höchstens kurzfristig übertünchen, aber sicher nicht lösen.

Es ist das alte Spiel, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.
Autor: Gebhard Kirchgässner Emeritierter Volkswirtschaftsprofessor

Die EU soll 21 Milliarden Euro in die Hand nehmen, Private sollen dann zusätzlich das 15-fache drauflegen. Ist das realistisch?

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Es ist schwierig, sich das vorzustellen. Es sei denn, man gibt der Privatwirtschaft besondere Konditionen. So ist offenbar vorgesehen, dass zur Hauptsache der Staat das Risiko übernimmt. In diesem Fall kann man erwarten, dass Private in Projekte investieren, in die sie sonst nicht investieren würden. Möglicherweise enden diese dann aber mit Verlust, die dann die Steuerzahler tragen. Es ist das alte Spiel, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.

Das Risiko für die Steuerzahler ist also sehr viel höher, als die 21 Milliarden Euro, die von der EU kommen sollen?

Genaues weiss man noch nicht. Wenn allerdings tatsächlich solche Risiko-Garantien abgegeben werden, können auf die Steuerzahler erhebliche Belastungen zukommen.

Wird es gelingen, die privaten Investoren von dem Programm zu überzeugen und sie ins Boot zu holen?

Prof. Dr. Kirchgässner

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Gebhard Kirchgässner ist emeritierter Professor für Volkswirtschaft. Er ist seit 1992 ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie an der Uni St Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung (SIAW).

Zunächst müsste man wissen, wo investiert werden soll. Das ist aber noch völlig unklar. Man könnte zum Beispiel in Verkehrswege investieren. Das kann aber nur funktionieren, wenn diese bereits privatisiert sind. Man muss also überhaupt öffentliche Investitionsprojekte finden, in denen Private potenziell Gewinne erwarten können. Denn ohne Gewinnaussichten wird auch nicht investiert.

Juncker sagt, es gebe einen öffentlichen Investitions-Nachholbedarf, etwa bei Schulen oder der Energie-Infrastruktur. Sind private Investitionen in diesen Bereichen denkbar?

Es ist unbestritten, dass ein Bedarf an Investitionen in öffentliche Infrastrukturen besteht. Doch ich sehe nicht, wie man private Investoren gewinnen kann, in Schulgebäude zu investieren, solange Schulen öffentliche Angelegenheiten sind. Denn wo soll hier der Gewinn für private Investoren entstehen? Bei Stromnetzen sehe ich da schon eher Möglichkeiten. In diesem Bereich sind ja auch massive Investitionen nötig. Hier würde sich aber das Problem stellen, wie private Monopole zu kontrollieren wären. Es ist nicht sinnvoll, in Bereichen, in denen kein Wettbewerb möglich ist, private Investoren einzubinden. Denn die könnten dann Monopolpreise verlangen.

Hat Juncker hier einen Rohrkrepierer fabriziert oder wird er einen Teil seiner Vision realisieren können?

Ich vermute, er wird das Programm mit Abstrichen zunächst einmal durchbringen, vor allem weil Italien und Frankreich Druck machen. Aber ich erwarte für 2016/17 keine zusätzlichen Investitionen im Umfang, wie dies Juncker vorschwebt.

Juncker hat von einer Million zusätzlichen Arbeitsplätzen durch dieses Investitionsprogramm gesprochen...

Wenn tatsächlich neue Überland-Stromleitungen durch ganz Europa gebaut werden, schafft das tatsächlich Arbeitsplätze. Ich sehe nur noch nicht, wo alle die Projekte herkommen sollen, welche die gewaltige Zahl von einer Million Arbeitsplätzen schaffen sollen.

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