Abdelmalek Laabidi war Yassines Onkel, er ist etwa 60-jährig. Kurze graue Haare, kurzer Schnurrbart, die Augen versteckt hinter einer Sonnenbrille. Während im Haus drinnen die Frauen Abschied vom Toten nehmen, steht er auf der Strasse, zieht an einer Zigarette. Auch vier Tage nach dem Anschlag mag er es kaum glauben. Yassine war im Quartier überall beliebt und vollkommen unauffällig. Er hatte Freundinnen und Freunde, trank ab und zu ein Bier.
In die Moschee ging er seit etwa zweieinhalb Jahren, schätzt der Onkel. Aber nur zum Gebet. Nicht zur Unterweisung durch einen Imam. Vom Wandel zum Islamisten habe niemand in der Verwandschaft etwas bemerkt. «Es gab keinen Grund zur Annahme, dass sich Yassine innerlich verändert hat», sagt der Onkel.
Perspektivlosigkeit als Katalysator
Äusserlich sei er stets der Gleiche geblieben. Yassine war Mitte Zwanzig, entstammte dem unteren Mittelstand. Er hatte eine bescheidene Anstellung in einem Callcenter, aber wenig Chancen auf eine berufliche Karriere. Denn mit Matur und zwei Jahren Literaturstudium gehörte Yassine Laabidi zu jener Gruppe junger Tunesier, die am häufigsten ohne Arbeit sind. Über 30 Prozent aller Jungen mit einem Hochschuldiplom sind ohne Stelle.
Darum haben sie sich bereits vor Jahren zu einer Art Gewerkschaft zusammengeschlossen. Die sogenannten «Diplomés Chômeurs» («Arbeitslose mit Diplom»). Ihr Generalsekretär Salam Ayari schätzt, dass aus dieser Gruppe ein grosser Teil der jungen Männer kommt, die aus Tunesien in den Dschihad ziehen.
Sie rufen in den Moscheen auf zum Heiligen Krieg. Versprechen für den Märtyrertod den Himmel.
Wie viele bisher in den Krieg nach Libyen oder Syrien gegangen sind, ist unklar. Nach einer Schätzung von Staatspräsident Béji Kaid Essebsi sollen es rund 10'000 sein. Deutlich mehr als bisher vermutet – vielleicht auch eine bewusste Übertreibung, weil Essebsi im Ausland um Hilfe ersucht.
Die jungen Arbeitslosen würden häufig Opfer dschihadistischer Werber, schildert Ayari: «Sie rufen in den Moscheen auf zum Heiligen Krieg. Versprechen für den Märtyrertod den Himmel. Vor allem in den grossen Städten des wirtschaftlich vernachlässigten Südens.»
Gefährliche Schattenwirtschaft
Und dann gibt es noch ein weiteres Einfallstor für den Terrorismus: Die Schattenwirtschaft, die in Tunesien beinahe die Hälfte der ganzen Wirtschaft ausmacht, führt Ayari aus. Er meint vor allem den Schmuggel im Grenzgebiet zu Libyen und Algerien, den Handel mit Öl und Waffen. Ein gutes Geschäft mit grosser Rendite und dazu noch steuerfrei.
In diesem Bereich arbeiten zehntausende junger Männer, vermutet nicht nur der Sprecher der arbeitslosen Schulabgänger. Das bestätigen inzwischen selbst staatliche Funktionäre, die den Schwarzhandel hilflos gewähren lassen.