Schon kurz nach der Ermordung der beiden Anti-Mafia-Ermittler Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 tauchten unangenehme Fragen auf: Wieso endete die Attentatsserie der sizilianischen Mafia Cosa Nostra gegen staatliche Institutionen, nachdem Falcone und Borsellino tot waren? Weshalb ist Borsellinos rote Agenda, in die er seine Gedanken und Fragen notierte, bis heute verschwunden geblieben? Wieso behaupten Familienangehörige beider ermordeten Staatsanwälte seit 20 Jahren, sie verfügten über Hinweise, die eine Verwicklung des Staates in die Ermordung bewiesen?
Jetzt – 20 Jahre nach den Attentaten – beginnt in Palermo der Prozess. Er soll Licht ins Dunkle bringen, die offenen Fragen klären. Vorgeladen sind inhaftierte Mafiabosse, ehemalige Generäle eines Polizei-Spezialkommandos, Ex-Senator Marcello dell'Utri – ein Berlusconi-Vertrauter, sowie weitere Politiker und reuige Ex-Mafiosi.
Hat der Staat die Finger im Spiel?
Sie stehen unter Verdacht, Anfang der 90er-Jahre ein Geheimabkommen zwischen Staat und Mafia geschlossen zu haben. Die Cosa Nostra hatte zuvor mit zahlreichen Bombenanschlägen gezeigt, welche Macht sie hat. Viele Menschen in Rom, Florenz und Mailand starben bei den Anschlägen.
Es wird vermutet: Die Angriffe der Cosa Nostra haben den Staat derart mürbe gemacht, bis er schliesslich auf die Mafia-Forderungen einging: In der Folge wurden zahlreiche gefangene Mafiosi aus der Haft entlassen.
Im Gegenzug dafür soll die Cosa Nostra keine Bombenanschläge mehr verübt haben.
Die beiden Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino sollen von dem Deal erfahren und Ermittlungen aufgenommen haben. Deshalb seien sie im stillem Einverständnis des Zentralstaates ermordet worden sein – von der Cosa Nostra.
Der Prozess wird wohl lange dauern. Es ist unklar, ob die Wahrheit je ans Licht kommen wird.
(srf/schubeca; buet)