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Ist da irgendwo ein Feind?
Aus Echo der Zeit vom 15.08.2017. Bild: SRF. Fredy Gsteiger.
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Nato-Kampftruppen in Litauen Ist da irgendwo ein Feind?

Irgendwo hinter den Wäldern lauert der Feind. Wenn es denn wirklich ein Feind ist. Wer er ist, sagt man nicht. Offiziell. Aber natürlich wissen alle: Gemeint ist Russland. Seinetwegen stehen jetzt erstmals Nato-Kampfgruppen in Polen, Estland, Lettland und Litauen.

Die Vorgeschichte: Stärkung der Ostflanke

  • Als Reaktion auf den Ukraine-Konflikt hat die Nato im Juli 2016 beschlossen, ihre Präsenz im Osten zu verstärken.
  • Das Verteidigungsbündnis entsendet deshalb je 1000 Mann in die drei baltischen Staaten und Polen.
  • Die Soldaten bleiben maximal ein halbes Jahr. Dann werden sie ausgetauscht. Dies ist nötig, damit die Nato-Russland-Akte nicht verletzt wird. Im Abkommen steht: Die Nato stationiert keine substanziellen Kampftruppen permanent in Osteuropa.

Es regnet. Oder besser: Es giesst. Pitschnass steht Axel, der norwegische Panzerkommandant, auf seinem modernen CV-90 und blickt durchs Fernglas.

Panzerleutnant Axel.
Legende: «Falls jemand uns braucht, sind wir hier»: Panzerleutnant Axel aus Norwegen. SRF

Viel zu sehen gibt es nicht. Regenschleier. Nebelschwaden. Bäume. Nur wenige Kilometer weiter ist Litauen zu Ende. Dahinter beginnt Weissrussland, dann Russland.

Der Panzer rollt zügig Richtung Osten über aufgeweichten Sand und durch Morast. Auf einer Lichtung tauchen Häuser auf. Nicht der echte Grenzort Paprade, vielmehr ein künstliches Dorf fürs Militärtraining.

Blick von einem Panzer auf ein Feld.
Legende: Irgendwo dahinten ist die «Front». SRF

Dort hinten sei die «Front», sagen einzelne Soldaten, wenn das Mikrophon nicht eingeschaltet ist.

Offiziell ist von einer Front nicht die Rede. Zwischen der Nato und Russland herrscht ja kein Krieg. Aber die Spannungen sind grösser als seit langem. Deshalb ist die westliche Militärallianz neuerdings hier präsent.

Im Kommandozelt spricht Axels Vorgesetzter, Hauptmann Martin, über den Einsatz, der offiziell gar kein Einsatz ist, sondern bloss eine «einsatzähnliche Mission». Eben hat man mit andern Nato-Einheiten an der Grossübung «eiserner Wolf» teilgenommen.

Soldaten in einem Zelt.
Legende: «Einen feindlichen Angriff verzögern»: Das Ziel des norwegischen Hauptmanns Martin, im Kommandozelt mit seinen Leuten. SRF

In Kürze beginnen Russen und Weissrussen ihrerseits mit Manövern, Sapad genannt, also «Westen». Mit gegen 100'000 Mann. Auf der Nato-Seite sind es nur ein paar Tausend.

Stärkung der Ostflanke

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Am Nato-Gipfeltreffen im Juli 2016 hatte das Verteidigungsbündnis beschlossen, seine Präsenz im Osten zu verstärken. Erstmals wurden Truppen im grossen Stil nach Osteuropa verlegt. Die internationalen Kampfgruppen sind mit jeweils rund 1000 Mann in Estland, Lettland, Litauen und Polen präsent.

Laut Strategieexperten hätte es vor der Stationierung der Nato-Kampfgruppen gerade mal 48 Stunden gedauert, bis die Russen die drei kleinen baltischen Staaten überrollt hätten. Wie lange würde es heute dauern? Darüber mag niemand spekulieren. Böse Zungen behaupten, wenn die Russen an einem Freitagabend angriffen, erreichten sie ihr Ziel genau so rasch wie zuvor.

Bei den Nato-Kampfgruppen herrscht kein Kriegsbetrieb. Es gelten fixe Arbeitszeiten, ausser wenn gerade eine Übung läuft. Der norwegische Hauptmann betont aber auch: «Zurzeit haben wir keinerlei Hinweise auf einen russischen Angriff.»

Genauso sagt es wenig später im Kommandocontainer, zig Kilometer weiter westlich im Land, Oberstleutnant Christoph Huber, der erste Kommandeur der neugeschaffenen Nato-Kampfgruppe in Litauen. Von einer akuten Bedrohung könne keine Rede sein.

Oberstleutnant Christoph Huber.
Legende: «Wir müssen hier präsent sein»: Oberstleutnant Christoph Huber, Kommandeur der Nato-Kampfgruppe in Litauen. SRF

Doch die verstärkte Vorne-Präsenz der Nato sei wichtig. «Ebenso wichtig ist es aber zu betonen, dass wir hier sind, um unsere Verbündeten im Baltikum vor irgendeiner Aggression zu schützen. Von wem immer sie ausgeht.»

Von Russland spricht man nicht, zumindest nicht bei der Bundeswehr. Andere, etwa die Niederländer, sind da direkter.

Der ganze Nato-Einsatz ist ein politischer Eiertanz: Gegenüber den Balten muss man ihn grossreden, um sie zu beruhigen. Gegenüber Russland hingegen als bescheiden darstellen, um Moskau nicht zu provozieren.

Für Oberstleutnant Huber ist die Präsenz seines Panzergrenadierbataillons 122 und der Nato-Kampfgruppen insgesamt auch ein politisches Signal: «Es geht darum zu zeigen, dass die gesamte Allianz hinter ihren Verbündeten in Osteuropa steht. Und das zeigen wir durch physische Präsenz.»

Seine Leute nehmen gerade neue Panzer in Empfang und verladen andere für den Rücktransport nach Deutschland. Weil ein Abkommen mit Russland, eines aus besseren Zeiten, die permanente Stationierung von Nato-Truppen und -Waffen in Osteuropa verbietet, wechselt man sie nun alle paar Monate aus.

Panzer auf einem Zug.
Legende: «Panzertruppen werden wieder wichtiger»: Verladung von deutschen Schützen- und Kampfpanzern im Westen von Litauen. SRF

Panzer, die noch bis vor kurzem als Waffe der Vergangenheit galten, werden für die Nato plötzlich wieder wichtig.

Die baltischen Staaten selber verfügen weder über Kampfpanzer, noch über Kampfflugzeuge und hochgezüchtete Raketen. Aber, betont der leutselige litauische Oberstleutnant Mindaugas Steponavicius, man erwarte und schätze nicht nur die erstmalige Nato-Präsenz im Land, man tue selber inzwischen viel.

Der litauische Oberstleutnant Mindaugas Steponavicius.
Legende: «Die Russen sind am Schwarzen Meer vormarschiert – warum nicht auch an der Ostsee?»: Oberstleutnant Steponavicius. SRF

«Wir haben die Wehrpflicht eingeführt und den Rüstungsetat verdoppelt.» Der Litauer stellt die Bedrohung entschieden dramatischer dar als der deutsche Kommandeur: «Wir müssen auf alles gefasst sein.»

Das sei man, ist Stepanovicius überzeugt: Die russische Präsenz rund um Litauen sei zwar um ein Vielfaches grösser als jene der westlichen Militärallianz. Aber die Nato-Kräfte seien besser ausgerüstet und besser ausgebildet.

Er widerspricht den Einschätzungen westlicher Schreibtischstrategen, wonach das Baltikum unmöglich zu verteidigen wäre, falls Russland wirklich angriffe.

Litauische Soldaten.
Legende: Selber mehr tun: Litauische Wehrpflichtige nach dem Einrücken. SRF

Im Nato-Quartier führt der deutsche Oberfeldwebel Klaus-Peter durch die Truppenunterkünfte. Auf einem Schild steht «Postamt Litauen» – auf Deutsch. Während der zivilen Post die Kunden davonlaufen, wird die Feldpost gut frequentiert.

Oberfeldwebel Klaus-Peter zeigt die Unterkunft.
Legende: «Eine richtige kleine Stadt – nach deutschen Standards», sagt Oberfeldwebel Klaus-Peter. SRF

Daneben die Militärkantine. Sie könnte auch in Norwegen oder Deutschland stehen, herrschte da nicht ein babylonisches Sprachengewirr: Litauisch, Deutsch, Englisch, Holländisch, Norwegisch, Französisch.

Speisekarte.
Legende: Und nach Feierabend eine Currywurst: Menüplan in der Soldatenstube. SRF

Die Zuversicht, wonach die neue Nato-Präsenz Moskau von einem militärischen Abenteuer abhält, wird von den Balten selber nur begrenzt geteilt.

Der Bürgermeister der Stadt Jonava, in dessen Ortsteil Rukla die Nato-Kampfgruppe stationiert ist, wünscht sich weitaus mehr Nato-Soldaten.

Eugenijus Sabutis in seinem Büro.
Legende: «Am liebsten hätte ich hier eine richtig grosse Nato-Basis», sagt der Bürgermeister von Jonava. SRF

Fredy Gsteiger

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Der diplomatische Korrespondent ist stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St.Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» und Chefredaktor der «Weltwoche».

Nicht einmal, nicht zweimal, nein, dreimal sei Litauen von fremden Truppen besetzt worden, und zwar aus dem Osten, sagt Eugenijus Sabutis. Bürgermeister von Jonava. Er ist deshalb froh um die Nato-Präsenz – zweifelt aber, ob sie genügt: «Litauen ist nicht die Schweiz, hat keine Berge, bietet keine Hindernisse für eine Armee.»

So wie der Bürgermeister sieht es die grosse Mehrheit der Litauer. Kein Wunder, dass manche jedesmal winken, wenn ein Militärkonvoi durch die Strassen donnert.

Die Nato zeigt also Flagge. Was für das Bündnis, neben all den Lasten und Kosten, den positiven Nebeneffekt hat, intensiv multilaterale Zusammenarbeit üben zu können. Glücklicherweise ist zurzeit nicht die Kooperation im Kampf, sondern im Alltag gefragt.

Zwei litauische Militärjeeps stecken im Morast.
Legende: Hilfe im Alltag: zwei litauische Militärjeeps stecken im Morast. SRF

Weil es immer noch wie aus Kübeln giesst, blieben zwei litauische Militärjeeps bis zur Motorhaube im Sumpf stecken. Der niederländische Panzerleutnant Juup und seine Soldaten helfen, sie herauszuziehen.

Wären bloss die Mücken nicht, die den Trupp trotz strömenden Regens nicht einzeln, sondern zu Dutzenden, zu Hunderten umschwirren.

Mehr zum Thema: Echo der Zeit, 15.08.2017

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