Die neue Regierungskoalition aus Links- und Rechtspopulisten hält nichts vom Schuldenabbau. Sie will ein Grundeinkommen von 780 Euro pro Monat, einen tieferen Renteneinstieg und eine Steuersenkung von bis zu 20 Prozent. Derweil verlangt Valdis Dombrovskis, der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, von Italien eine Schuldenreduktion.
Was ist von Italiens neuem Kurs zu halten? Sergio Rossi, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg, zeigt sich im Interview besorgt.
SRF News: Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella hat gestern Giuseppe Conte einen Regierungsauftrag erteilt. Somit ist der Weg frei für die erste Regierung in Italien, die sich offen gegen europäische Institutionen und den Euro stellt. Was ist von der neuen Regierung wirtschaftspolitisch zu erwarten?
Sergio Rossi: «Die italienische Wirtschaftspolitik wird sehr problematisch sein. Einerseits möchte die neue Regierung die Steuern reduzieren, damit die Firmen mehr investieren können und somit das Bruttoinlandsprodukt und die Beschäftigung erhöhen können. In der aktuellen Wirtschaftslage auf nationaler und internationaler Ebene werden aber die meisten KMU in Italien nicht investieren, so dass der öffentliche Sektor wenig Steuereinkommen erhalten wird. Das wird also zu einer Kürzung von öffentlichen Ausgaben führen müssen. Auf der anderen Seite, wenn die Regierung ein Staatsbürgerschaftseinkommen einführen wird, wird das Haushaltsdefizit dermassen belastet, dass andere Staatsausgaben reduziert werden müssen. Das wird also so oder so zu einem Teufelskreis führen.»
Die Forderungen sind teilweise extrem: Im Umfeld hört man von Neuverhandlungen der EU-Verträge oder komplett das Ignorieren der Maastricht-Kriterien für die Finanzpolitik. Was ist davon zu halten?
«Diese beiden Forderungen sind unrealistisch. Deutschland und nordische EU-Ländern werden sicher allen ihren Druck ausüben, damit Italien die entsprechenden Verträge und Kriterien respektiert. In der Zwischenzeit, werden aber die Finanzmärkte sehr volatil sein, weil die Unsicherheit bezüglich der italienischen Wirtschaft grösser geworden ist. Das spielt gegen die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung in Italien. Man könnte vermuten, dass neue Wahlen in Italien in etwa 9 bis 12 Monaten stattfinden müssten, ohne dass in der Zwischenzeit die Probleme der italienischen Wirtschaft gelöst werden könnten.»
Die EU ermahnt Italien, das Land müsse seine Schulden abbauen. Wie wird Italien darauf reagieren?
«Italien hatte schon ihre öffentlichen Schulden abgebaut, als Berlusconi im Amt war. Das Problem Italiens war und ist, dass ein bedeutender Teil der Staatsausgaben zur Bezahlung der Zinsen gebraucht wird. Die öffentlichen Ausgaben werden also nicht alle finanzierbar sein, ohne den Steuerdruck zu erhöhen, was problematisch ist, wenn man den aktuellen hohen Steuerfuss berücksichtigt.»
Wie dürfte sich die Verschuldung des Staates entwickeln und welche Auswirkungen hat das auf die Europäische Wirtschaft?
«Die Staatsverschuldung wird stark wachsen, wenn die italienische Regierung ihre geplante Wirtschaftspolitik wirklich durchführen wird. Das könnte nämlich das »Spread« für italienische Staatsobligationen erhöhen, und damit die finanzielle und wirtschaftliche Lage Italiens weiter negativ beeinflussen.
Die Staatsverschuldung wird stark wachsen, wenn die italienische Regierung ihre geplante Wirtschaftspolitik wirklich durchführen wird.
Die europäische Wirtschaft könnte sich weiter desintegrieren, weil, in der Tat, die realen Diskrepanzen zwischen Nord- und Südeuropa schon zu gross sind, um eine einheitliche Geldpolitik für alle Euroländer effizient langfristig durchzuführen.»
Als viertgrösste Volkswirtschaft in Europa hat Italien einen wesentlichen Einfluss auf die Währungspolitik, sind entsprechende Vorstösse zu erwarten? Wie könnten diese aussehen?
«Die Währungspolitik der Europäischen Zentralbank ist wesentlich von der Wirtschaftslage und –perspektive in Deutschland beeinflusst. Falls aber die italienische Regierung wirklich ihre angekündigte Wirtschaftspolitik durchsetzen wird, könnte die EZB ihre Geldpolitik ein bisschen ändern, um sämtliche Zusatzbedingungen einzuführen, welche die italienische Banken erfüllen müssen, um sich bei der EZB refinanzieren zu dürfen. Das könnte sich auf italienische Sparer sehr negativ auswirken, falls eine oder mehrere Banken in Italien bankrottgehen.»
Der Euro hat auf die Wahlergebnisse in Italien bereits nachgegeben. Welchen Einfluss könnte die neue Regierung auf die Währung haben?
«Falls das »Spread« auf italienische Staatsobligationen weiter steigen wird, könnte der Euro abgewertet werden, wenn die Finanzakteure denken, dass dies eine Schuldenkrise in Italien und in anderen Ländern des Euroraums verursachen könnte. Der Euro könnte auch dann abgewertet werden, wenn die italienische Wirtschaftspolitik die nationale Wirtschaftslage negativ beeinflussen wird. Es hängt viel davon ab, welche politische Reaktionen innerhalb des Euroraums die neue Regierung in Italien in den nächsten Monaten auslösen wird.»
Das Gespräch führte Pascal Schumacher.