Zum Inhalt springen

Journalistenmord Slowakei Prozessbeobachter: «Ein Schuldspruch ist gar nicht so sicher»

In der Slowakei endet heute voraussichtlich der Prozess in einem Mordfall, der das Land in seinen Grundfesten erschüttert hat. Vor zweieinhalb Jahren wurden der Investigativjournalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova erschossen. Vor Gericht steht nun der mutmassliche Auftraggeber, der Unternehmer Marian Kocner. Christoph Thanei hat die ganze Geschichte verfolgt.

Christoph Thanei

Beobachter am Prozess zum Kuciak-Mord

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Thanei ist langjähriger Slowakei-Korrespondent der Deutschen Presse Agentur (dpa) und der Wiener Presse.

SRF News: Bringt dieser Prozess die lückenlose Aufklärung des Mordes an Kuciak und Kusnirova?

Christoph Thainei: Es gibt ganz klare Indizien, wie der Mord abgelaufen ist und wer dafür verantwortlich ist. Die Schwachstelle ist allerdings, dass manche dieser Indizien nicht so wirklich beweisbar sind, im Sinne, dass man die Smoking Gun nicht hat.

Sie gehen von einer Verurteilung aus?

Diesbezüglich sind sich die von mir befragten Experten nicht ganz sicher. Das Gericht steht unter dem Druck, keinen Fehler zu machen und die Öffentlichkeit erwartet einen Schuldspruch. Die Verteidigung wird den Vorwurf erheben, dass unter diesem Druck entschieden worden ist. Deswegen will sich das Gericht keinen Fehler leisten.

Es ist vorstellbar, dass Kocner sozusagen der praktische Dumme war, der das gemacht hat, was anderen sehr willkommen war.

Und es wäre heikel, aufgrund der Indizien zu entscheiden, wenn die Beweise nicht eindeutig sind. Das bedeutet, dass ein Schuldspruch gar nicht so sicher ist, weil die Beweislage nicht sicher genug ist.

Der Journalist Jan Kuciak hat gegen Korruption in der Politik angeschrieben. Wissen wir nach diesem Prozess, ob es noch andere Hintermänner gab, zum Beispiel in der Politik?

Man kann annehmen, dass Marian Kocner nicht der einzige war, der Interesse daran hatte, dass Kuciak aufhörte, zu recherchieren. Es gibt Hintermänner, aber die werden weniger in der grossen Politik vermutet. Denn dort wurde alles schön aufgedeckt. Weniger durchschaubar ist, was bestimmte Finanzinstitute und Oligarchen für Interessen haben. Es ist durchaus vorstellbar, dass Marian Kocner sozusagen der praktische Dumme war, der das gemacht hat, was ihnen auch sehr willkommen war, aber was sie nicht selber tun würden.

Mit diesem Mord steht quasi auch der slowakische Rechtsstaat auf dem Prüfstand. Hat er den Test bestanden?

Es hängt davon ab, wen man fragt. Viele antworten emotional und sagen, die Ermittlungen und Enthüllungen zeigen, wie korrupt die slowakische Justiz eigentlich ist.

Der slowakische Rechtsstaat hat eine grosse Prüfung ziemlich gut bestanden.

Aber ich sehe das optimistisch. Korruption war schon immer da. Aber dass sie so konsequent aufgedeckt wurde, dass man Richter und Staatsanwälte ins Gefängnis gesteckt hat und nicht nur aus ihren Funktionen abgezogen hat, das ist von einer ganz anderen Qualität. Ich glaube, der slowakische Rechtsstaat hat eine grosse Prüfung ziemlich gut bestanden.

Hat dieser Mord die Slowakei nachhaltig verändert?

Ja, auf jeden Fall. Es sind seitdem zwei Regierungen zurückgetreten: Nach den ersten Massendemonstrationen musste der damalige sozialdemokratische Regierungschef Robert Fico zurücktreten. Bei der Wahl hat sein Nachfolger Peter Pellegrini die Mehrheit verloren, und die Regierung, die danach gekommen ist, hat die Wahl nur gewonnen, weil sie versprochen hat, gegen die Korruption anzukämpfen.

Dann fand noch eine Präsidentschaftswahl statt, die Zuzanna Caputova gewonnen hat. Sie hat die Forderungen der Protestierenden aufgenommen und wurde deswegen gewählt. Wie erwähnt sind nun gewisse Richter und Staatsanwälte im Gefängnis. Die Slowakei hat sich enorm verändert, dazu gehört auch, dass es überhaupt so grosse Proteste gab, denn normalerweise beteiligen sich nicht viele Leute an den Wahlen.

Das Gespräch führte Andrea Christen.

SRF 4 News, 03.09.2020; 06:46 ; 

Meistgelesene Artikel