Ein UNO-Generalsekretär mit fast schon verzweifelten Mahnrufen, ein US-Präsident, der eine Generalattacke gegen China reitet, ein brasilianischer Staatschef, der sich für die erfolgreiche Bekämpfung des Corona-Virus auf die Schultern klopft.
Es ist eine merkwürdige UNO-Generaldebatte, die in New York begonnen hat. Und das im wegen der Corona-Restriktionen fast schon gespenstisch leeren Saal, mit Reden der Staats- und Regierungschefs ausschliesslich über Video. Dass da keine Feierstimmung aufkommt, obschon die UNO ihren 75. Geburtstag zelebrieren möchte, erstaunt nicht.
Guterres wurde nicht ernst genommen
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres stiess bisher auf taube Ohren. Er wiederholte deshalb sein Ansinnen, die Coronakrise für einen weltweiten Waffenstillstand zu nutzen und rückte dies ins Zentrum seiner Rede zur Lage der Welt: «Alle heissen Konflikte müssen beendet werden.» Guterres stellte den 193 UNO-Mitgliedsländern sozusagen ein Ultimatum bis Ende Jahr: «Noch hundert Tage. Die Uhr tickt.»
Zugleich sei dem neuen Kalten Krieg Einhalt zu gebieten, in den die Supermächte USA und China zu schlittern drohten. Für den UNO-Chef ist klar: Angesichts der Vielzahl an Krisen – Klima, Kriege, Corona, Migration, Zunahme von Hunger und Armut – ist eine nationale Einigelung das falsche Rezept.
Volkan Bozkir, der frisch gewählte Präsident der UNO-Generalversammlung und damit formell der oberste Weltbürger, stiess ins selbe Horn: Das System der internationalen Zusammenarbeit, verkörpert zuvorderst durch die UNO, sei das beste denkbare System.
Guterres und Bozkir mögen recht haben. Doch die Staats- und Regierungschefs, die gleich nach ihnen auftraten, widersprachen ihnen, zwar indirekt, jedoch entschieden: So will sich Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro von niemanden vorschreiben lassen, wie er mit dem Amazonas umgeht.
Sein Land sei Opfer einer Desinformationskampagne. Seine Regierung zerstöre den Regenwald nicht, sondern schütze ihn. Und er unterstrich treuherzig, wie sehr ihm der Kampf gegen die Corona-Pandemie ein Anliegen sei.
Multilateralismus auf Chinesisch
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wiederum nutzte die UNO-Bühne, um seinen Territorialansprüchen im Mittelmeer Nachdruck zu verleihen. Und Chinas Staatschef Xi Jinping beschwor zwar die internationale Solidarität, den Multilateralismus, machte dabei aber deutlich, dass er Multilateralismus nach chinesischer Lesart meinte. Konkret: China will in der UNO den Ton angeben.
US-Präsident Donald Trump schliesslich hielt seine bisher kürzeste UNO-Rede. Während er in den bisherigen einmal Nordkorea und zweimal den Iran geisselte, galt sein Zorn diesmal China, welches das Coronavirus auf die Welt losgelassen habe. Die UNO, so Trumps Forderung, müsse «China zur Rechenschaft ziehen».
Der US-Präsident spricht 75 Jahre nach Gründung der UNO gar von einem Kampf, in dem der Gegner China heisst. Trump wandte sich zugleich entschieden gegen eine länderübergreifende Kooperation: «Die immer gleichen müden Stimmen fordern globale Lösungen, doch diese gehen stets zulasten der einzelnen Völker.»
Trump prophezeit seine Wiederwahl
Grösser könnte der Gegensatz zwischen Nationalisten und Multilateralisten kaum sein. Letztere dürften deshalb Trumps Schlusssatz eher als Drohung denn als Verheissung verstehen: «Nächstes Jahr, wenn wir uns wieder persönlich in New York treffen, wird ein grossartiges Jahr sein.»