Die Maras verbreiten Angst und Schrecken in El Salvador: Die Jugendbanden sind für täglich ein Dutzend Morde verantwortlich. Die Gewalt ist einer der Gründe, weshalb viele Menschen ihre Heimat in Richtung Norden verlassen. Und es sei keine Besserung in Sicht, sagt die Journalistin Sandra Weiss.
SRF News: Wer sind die Maras und was macht sie so stark?
Sandra Weiss: El Salvador ist ein Staat, der kaum Steuern erhebt und finanziell relativ schwach ist. In Bezug auf die Bevölkerungszahl ist der Staatsapparat zudem klein. Das wirkt sich auch auf die Sicherheit aus. Die Maras haben das Vakuum gefüllt, das es in vielen Stadtvierteln und Landesteilen gibt. Sie kontrollieren diese Gegenden und den dortigen Drogenhandel.
Was sind die weiteren «Geschäftsfelder» dieser Banden?
Neben den Drogen sind es Entführungen, Auftragsmorde und Schutzgelderpressung. Das Schutzgeld ist eine Art Kriegssteuer, die die Maras erheben. Das heisst, Geschäftsleute – auch die Frau, die an der Ecke Maispflanzen verkauft – müssen einen Teil ihrer Einnahmen an die Maras abgeben. Und weil die Maras einfach parallel zum Staat Steuern erheben, ist dieses Bandenproblem nicht nur ein Sicherheitsproblem, sondern auch ein wirtschaftliches. Immer weniger Menschen wagen es, ein Geschäft aufzumachen, weil die Einnahmen sowieso zum Teil an die Maras gehen.
Die Banden bekriegen sich auch gegenseitig. Wie hoch ist der Blutzoll?
Es gibt zum einen den Bandenkrieg zwischen den grossen Gruppen, und es gibt den Krieg gegen die Polizei. Teilweise ist die Polizei aber auch involviert in die Geschäfte der Banden, das macht das Ganze unübersichtlich. Im Bandenkrieg sterben zehn bis zwölf Menschen pro Tag in einem Land, das halb so gross ist wie die Schweiz. Das sind jährlich zwischen 60 und 70 Morde auf 100'000 Einwohner. Zahlen, die man sonst nur aus Kriegsgebieten kennt.
Es gibt etwa 70'000 Gangmitglieder. Wie konnte es soweit kommen?
El Salvador hat ein grosses Bevölkerungswachstum, was unter anderem an der erzkonservativen Familienpolitik liegt. Heute sind es 6.3 Millionen Einwohner. In den Achtzigern waren es noch 4.5 Millionen. Gleichzeitig ist die Wirtschaft überhaupt nicht gewachsen. Das Land ist zu klein, um seine Bevölkerung selbst mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Es gibt für die Jugendlichen keine Arbeitsplätze, keine Studienplätze und keine Chance auf sozialen Aufstieg.
Für Jugendliche gibt es keine Jobs, keine Studienplätze und keine Chance auf sozialen Aufstieg. Sie können auswandern, mit Hilfsjobs versuchen, mehr schlecht als recht zu überleben, oder zu den Maras gehen.
Warum ist es so schwer, diese Banden zu bekämpfen?
Man müsste eigentlich den ganzen Staat und die ganze Wirtschaft umbauen. Man müsste anfangen, Steuern zu erheben. Man müsste mehr in Bildung investieren. Und man müsste für mehr Arbeitsplätze sorgen. Das ist schwer. Denn das Land lebt vor allem von den Überweisungen ausgewanderter Salvadorianer. Das heisst: Es lebt davon, seine Migranten zu exportieren.
Der neue Präsident, Nayib Bukele, hat ein Programm zur Bekämpfung der Kriminalität aufgelegt. Wie sieht das aus?
Es setzt auf Prävention durch Kultur- und Sportprogramme, verstärkten Polizeieinsatz und eine bessere Rehabilitierung freigelassener Häftlinge. Im Prinzip ist dagegen nichts einzuwenden. Aber damit bekämpft man nur die Symptome. Die Ursachen liegen im Wirtschaftssystem, in der Armut, in der Ungleichheit, im Bevölkerungswachstum und in den fehlenden Perspektiven. Um die Probleme anzugehen, bräuchte man einen nationalen Pakt aller Parteien, der Wirtschaft und der Kirche – und das ist unwahrscheinlich.
Das Gespräch führte Barbara Büttner.