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Kampf gegen Korruption Dem Vorschlag einer EU-Ethikbehörde fehlen die Zähne

Es ist nicht akzeptabel, dass gut bezahlte EU-Berufspolitikerinnen Koffer voller Bargeld erhalten – damit sie im Plenarsaal des Parlamentes flammende Reden halten über zweifelhafte Errungenschaften im Arbeitsrecht von Zwangsarbeiterinnen. So wie das im Fall von Katar gang und gäbe war – vor der Fussball-Weltmeisterschaft.

Es ist auch nicht akzeptabel, dass hohe EU-Beamte Privatjets zur Verfügung gestellt erhalten, um sich mit Firmenchefs zu treffen, um deren Klagelieder hören zu dürfen über allzu strenge EU-Gesetze. Nur, um dann mit vorformulierten Gesetzesanpassungen zurückzureisen.

Die hohen EU-Beamten können sich solche Reisen sogar selber bewilligen. Auch das ist gang und gäbe.

Ethikbehörde kommt keineswegs zu früh

Eigentlich, könnte man meinen, wäre es selbstverständlich, dass das nicht akzeptabel ist. Leider ist es aber nicht selbstverständlich. Es ist in Brüssel – bei der EU – nicht selbstverständlich.

Leider ist es auch in allen EU-Mitgliedstaaten nicht selbstverständlich – in Rom, Berlin, Paris oder anderswo. Eine Ethikbehörde kommt darum nicht zu früh.

Eigentlich würde man auch erwarten, dass eine solche Behörde maximal unabhängig wirken kann. So ist das aber nicht geplant. Unabhängige Vertreterinnen sollen darin nur zum Teil Einsitz nehmen. Mehrheitlich bestimmen Abgesandte der betroffenen EU-Behörden den Kurs.

Das zeigt, wie gross das Misstrauen ist zwischen EU-Staaten, Parlament und Kommission. Der aktuelle Vorschlag ist darum kein Befreiungsschlag. Vielmehr macht er transparent, wie politisch untergraben die Behörden letztlich bleiben wollen. Die Ethikbehörde soll nicht einmal eigene Untersuchungen führen dürfen. Oder eigene Sanktionen verhängen.

Die Behörde bleibt also zahnlos.

Auf Minimalkonsens aufgebaut

In Brüssel heisst es, nach Jahren der Verhandlung sei es der einzig mögliche Kompromiss. Schon komisch, wenn eine Ethikbehörde auf einem Minimalkonsens aufgebaut wird.

Aber: Alles halb so schlimm. Denn nun können die EU-Mitgliedstaaten, das EU-Parlament und alle anderen beteiligten EU-Behörden den Vorschlag anpassen. Sie können ihm Zähne geben – und so beweisen, dass alle EU-Institutionen tatsächlich unabhängig sein können.

Wenn sie das denn wollen.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Rendez-vous, 8.6.2023, 12:30 Uhr

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