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Guatemala bald wieder in der Hand der Korrupten?
Aus Echo der Zeit vom 19.09.2019. Bild: Keystone
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Kampf gegen Straflosigkeit Korruption in Guatemala – einen Schritt vorwärts, zwei zurück?

Nach zwölf Jahren haben die UNO-Korruptionsermittler unfreiwillig ihre Arbeit eingestellt. Ein Rückfall in alte Zeiten droht.

Die Kommission gegen Straflosigkeit hat in Guatemala viel bewegt: In den letzten Jahren hat dort die Justiz unter anderem zwei Staatspräsidenten und eine Vizepräsidentin verurteilt und ins Gefängnis gesteckt, aber auch einige Minister, Parlamentarier, Richter oder Militärs. Sie alle wurden der Korruption und anderer krimineller Machenschaften – bis hin zu Mord – überführt.

Roxana Baldetti und Otto Molina
Legende: Ermittlungen der Cicig zu kriminellen Netzwerken brachten 2015 den damaligen Präsidenten Otto Perez Molina und Vizepräsidentin Roxana Baldetti zu Fall. Reuters

Das wäre ohne die internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (Cicig) nicht möglich gewesen, sagt Adriana Beltrán, Guatemala-Spezialistin des Think Tanks Washington Office for Latin America. Denn zuvor galt die Elite als unantastbar. Die staatlichen Institutionen waren vor zwölf Jahren vollständig von kriminellen Netzwerken unterwandert.

Woher stammen diese kriminellen Netzwerke?

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Laut Guatemala-Expertin Adriana Beltrán haben die kriminellen Gruppen ihre Wurzeln in der Aufstandsbekämpfung des langen Bürgerkriegs. «Nach dessen Ende 1996 wandten sich diese Gruppen kriminellen Geschäften zu.»

Der guatemaltekische Bürgerkrieg dauerte von 1960 bis 1996. Dabei kämpften linke Guerillaorganisationen gegen die rechtsgerichteten Militärdiktaturen. Durch geplante Massaker der Armee und Paramilitärs wurden bis zu 200'000 Menschen mehrheitlich indigener Abstammung getötet – von Zehntausenden fehlt bis heute jede Spur.

Der Cicig gelang es während einiger Jahre, den Einfluss dieser Netzwerke zurückzudrängen. Sie stärkte die Justiz von innen, löste Untersuchungen aus, trat als Mitklägerin auf und stiess Reformen an. Daran beteiligt war auch Menschenrechtsanwalt Miguel Mörth: «Wir haben tausende von Polizisten und Staatsanwälten in Tatortbearbeitung ausgebildet. Diesen Fortschritt werden wir nachhaltig spüren.» Auch das Zeugenschutzprogramm wurde reformiert.

Dank solchen und anderen Massnahmen stieg allmählich das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz, es wurden mehr Straftaten gemeldet. Die Straflosigkeit konnte zeitweise von über 90 auf 70 Prozent reduziert werden und die Mordrate sank deutlich. Und doch blickt Mörth skeptisch in die Zukunft: «Alle diese Dinge, die die Cicig geschaffen hat, sind nicht wirklich institutionalisiert; sie hängen immer noch von zufälligen Mehrheiten ab.»

Am Anfang hatten die Eliten Angst vor der Justiz. Mittlerweile haben sie gelernt, wie sie diese zur Kriminalisierung ihrer Gegner benutzen können.
Autor: Michael Mörth Menschenrechtsanwalt in Guatemala

Denn in Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizeistationen gebe es stets zwei Pole: die Ehrlichen auf der einen, die Korrupten auf der anderen Seite. Die Mehrheit zwischen den Polen bezeichnet Mörth als graue Masse: «Diese richtet sich immer danach, woher der Wind gerade kommt.» Dieser Wind habe in den letzten zwei Jahren gedreht – gegen die Ehrlichen, gegen die Cicig. «Am Anfang hatten die Eliten Angst vor der Justiz. Mittlerweile haben sie gelernt, wie sie diese zur Kriminalisierung ihrer Gegner benutzen können.»

«Je mehr Mitglieder der Elite ins Visier der Korruptionsbekämpfer gerieten, desto stärker ist die korrupte Machtelite zum Gegenangriff übergegangen», erklärt Expertin Beltrán. Und der sogenannte Pakt der Korrupten – wie die Machtelite in Guatemala genannt wird – habe schnell gemerkt, dass die Cicig auch kaum mehr Unterstützung von der gegenwärtigen US-Regierung erhielt. Denn diese konzentriere sich aufs Thema Migration.

Soldaten patrouillieren
Legende: Präsident Jimmy Morales verhängte in sechs guatemaltekischen Provinzen den Ausnahmezustand. Verfassungsrechte wie die Bewegungsfreiheit und das Demonstrationsrecht sind dadurch eingeschränkt. Reuters

Die Machtelite habe das Land wieder fest im Griff, so Beltrán. Ausdruck davon seien die Ereignisse der letzten Tage: Nur einen Tag nachdem die Cicig ihre Arbeit einstellen musste, verhängte die Regierung mit fadenscheiniger Begründung den Ausnahmezustand über sechs Provinzen. In diesem Gebiet kämpfte die lokale Bevölkerung in den letzten Jahren gegen Bergbau- und Agrar-Grossprojekte. Dieser Widerstand wurde immer wieder von Gerichten gestützt.

Mit dem Ausnahmezustand könne die Regierung nun aber ungehindert gegen Indigene und Umweltschützer vorgehen, sagt Mörth: «Das könnte der Auftakt zu verstärkter Repression gegen solchen Widerstand gewesen sein.» Das Ende der Cicig bedeute für Guatemala deshalb vor allem eines: die Mächtigen seien wieder unantastbar. Ein Zurück in die Vergangenheit.

Ära der Korruptionsermittler in Guatemala ist zu Ende

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Legende: Imago

Das Mandat der UNO-Korruptionsjäger von Cicig lief am 3. September aus, nachdem es Präsident Jimmy Morales nicht verlängert hatte. Die Cicig-Mitarbeiter ermittelten auch gegen ihn und seine Familie. Morales warf ihnen daraufhin vor, sich in die Politik einzumischen und wollte sie im Januar vorzeitig aus dem Land werfen. Dies untersagte aber das Verfassungsgericht. (sda)

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