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Kaschmir-Krise Ein Blick hinter die indische Propaganda

Die indische Regierung behauptet, die Lage in Kaschmir sei ruhig. Menschenrechtsaktivisten zeichnen ein anderes Bild.

Seit 10 Tagen ist der indische Teil Kaschmirs abgeschottet. Kein Internet, keine funktionierenden Telefonleitungen. Geschäfte blieben geschlossen. Dies nachdem die indische Regierung die Sonderrechte des Gliedstaates vergangene Woche aberkannt hatte. Informationen aus Kaschmir gab es praktisch keine. Ausländischen Journalisten ist die Reise dorthin untersagt.

Darum geht es im Kaschmir-Konflikt

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Karte Kaschmir
Legende: srf

Seitdem das frühere Britisch-Indien im Jahr 1947 unabhängig und in Indien und Pakistan geteilt wurde, streiten die beiden Länder um die Herrschaft über das Himalaya-Gebiet Kaschmir. Beide beherrschen jeweils einen Teil; ein weiterer Teil Kaschmirs gehört zu China.

Immer wieder kommt es im indischen Teil zu Gewalt zwischen Sicherheitskräften und Separatisten, die eine Abspaltung des überwiegend muslimischen Kaschmirs vom mehrheitlich hinduistischen Indien wollen. Indien wirft Pakistan vor, islamistische Kämpfer im indischen Teil zu unterstützen. Islamabad bestreitet dies.

Die offiziellen Informationen kommen vom indischen Aussenministerium. Es liess über soziale Medien ein Video kursieren, das zeigen soll, wie ruhig und friedvoll die Lage im indischen Teil Kaschmirs ist. Es zeigt wie sich hunderte Kaschmiris an einem wichtigen muslimischen Fest friedlich versammeln und gemeinsam beten.

Nur indisches Staatsfernsehen

Menschenrechtsaktivisten, die in den letzten fünf Tagen in der Region waren, zeichnen ein anderes Bild. «Diese Ruhe ist eine Grabesruhe, aufgezwungen durch Gewehrläufe», meint Kavita Krischnan, eine der Aktivistinnen. Jegliche Form von Kundgebung werde unterdrückt.

Frau spricht in ein Mikrofon
Legende: «Die Ruhe ist eine Grabesruhe»: Die indische Menschenrechtsaktivistin Kavita Krischnan (Mitte) während der Pressekonferenz, an der sie ihren Eindruck der Situation in Kaschmir schilderte. Reuters

Die Kommunikation nach aussen ist unterbrochen und auch innerhalb Kaschmirs können sich die Leute nicht miteinander verständigen. «Die einzigen Informationen kommen von regierungsfreundlichen Fernsehsendern», meint Krischnan weiter, «die behaupten, alles sei gut». Doch das Gegenteil sei der Fall. «Es ist die Hölle!»

Indien will nichts von Protesten wissen

Auch der Fernsehsender BBC berichtete am Wochenende von Protesten, die mit Schrot und Maschinengewehren zerschlagen wurden. Kavita Krischnan bezweifelt die Echtheit dieser Berichte nicht. Obwohl die indische Regierung bestreitet, dass es je zu Protesten kam.

Sie selbst durften nicht in das Quartier gehen, wo die Proteste offenbar stattfanden. Das sei komisch, sagt Kavita Krischnan, wenn doch alles friedlich sei. Der Grund für die Aufhebung der Sonderrechte war laut Premierminister Modi, endlich Fortschritt und Entwicklung nach Kaschmir zu bringen.

Weiter entwickelt als indischer Gliedstaat

Der belgische Aktivist und Wirtschaftswissenschafter Jean Drèze sagt, genau das Gegenteil sei der Fall. Auch er reiste in die Region. «Bei vielen Messgrössen wie Kindersterblichkeit oder Lebenserwartung schneidet das indische Kaschmir besser ab als Modis Gliedstaat Gujarat.» Und das habe eben just mit den Sonderrechten zu tun, die nun abgeschafft wurden.

Jean Drèze
Legende: «Bei der Kindersterblichkeit schneidet das indische Kaschmir besser ab»: der belgische Aktivist Jean Drèze. Keystone

Diese Sonderrechte erlaubten Kaschmir Landreformen, die im restlichen Indien nicht möglich waren. Dass Kaschmir unterentwickelt sei, sei ein Mythos, so Jean Drèze.

Die indische Regierung reagiert gereizt auf solche Gegendarstellungen. Sie wollte die Pressekonferenz der Aktivisten kurzerhand verbieten und hat Druck aufgesetzt, so dass das 9-minütige Video mit den Stimmen aus Kaschmir nicht gezeigt wurde. Es kursiert nun auf YouTube.

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