Längst kennt Hassan al Kontar den Flugplan auswendig. Die erste Maschine starte um 5.30, sagt der 36-Jährige mit dem vollen, schwarzen Bart und legt die Hände auf die Fensterfront im Transitbereich. Das sei seine Veranda.
«Ich sitze hier jeden Morgen. Ich mag die Aussicht und schaue zu, wie die Flugzeuge kommen und gehen», sagt er. Viel Bewegungsfreiheit hat Hassan nicht. Es sind nur ein paar Hundert Meter im Transferbereich des internationalen Flughafens.
Im Behinderten-Klo wäscht er sich und seine Kleider mitten in der Nacht, um niemanden zu stören. Vertreter von Air Asia versorgen Hassan mit abgepackten Mahlzeiten, Huhn und Reis. Schlafen tut er unter einer Rolltreppe, abgeschirmt von einer Tafel auf der steht: Liftwartung – entschuldigen Sie die Störung.
Meist sitzt Hassan jedoch auf den Stühlen vor dem Transfer-Tresen und beobachtet die Reisenden. Begonnen hat sein Alptraum vor sieben Jahren mit dem Ausbruch des Krieges in seiner Heimat Syrien. Damals war er in den Vereinigten Arabischen Emiraten und machte als Marketing-Manager Karriere.
Ein Jahr später lief sein Pass ab und er konnte ihn nicht erneuern, weil er desertiert war. Denn an diesem Krieg teilzunehmen, war für Hassan keine Option. «Für mich sind das alles Kriminelle, nicht nur in Syrien, sondern auch im Ausland, in Russland und den USA. Sie kümmern sich nur um das grosse geopolitische Spiel, ihre eigenen Interessen und ihren Profit, nicht aber um die Leute, die Kinder und Mütter, die den Preis für diesen Krieg bezahlen.»
Airline nahm ihn nicht mit nach Ecuador
Ohne gültigen Pass erhielt Hassan kein Visum für die Emirate mehr und so auch keine Arbeit. Fünf Jahre lang versteckte er sich und schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Dann wurde er verhaftet und im vergangenen Jahr mit einem temporären Pass nach Malaysia deportiert. Aber auch hier gab es für ihn weder Arbeit noch eine Visumsverlängerung.
Hassan kaufte sich ein Flugticket nach Ecuador, wo er auf Einlass hoffte. Doch die Airline nahm ihn nicht mit. Er flog nach Kambodscha, von wo er mit demselben Flieger nach Malaysia zurück geschickt wurde. Endstation Flughafenterminal Kuala Lumpur. Hier sitzt er seit dem 7. März fest.
Behörden dulden ihn, aber eine Lösung haben sie nicht
Während Hassan erzählt, setzt sich ein Mann direkt hinter ihn und lauscht mit. Später fotografiert ihn ein Immigrationsbeamter. Die malaysischen Behörden müssen den Gestrandeten in dieser Grauzone zwar dulden, eine Lösung haben sie nicht für ihn. Die Ungewissheit macht Hassan zu schaffen. Sie sei nur auszuhalten, weil er sich eine Mission gegeben habe: Durch sein Schicksal auf jenes aller syrischen Flüchtlinge aufmerksam zu machen.
«Die Leute müssen unsere Geschichten hören, nicht jene der grossen Politik. Als Syrer fühlen wir uns zurückgewiesen und hoffnungslos. Das sind die Gefährlichsten, die Hoffnungslosen, die nichts zu verlieren haben», sagt er.
Hoffnung auf Happy End
Vertreter des UNO-Flüchtlingshilfswerks haben inzwischen mit Hassan gesprochen und suchen nach einer Lösung für ihn. Hassans Ansprüche an seine zukünftige Heimat sind bescheiden: «Ich möchte an einen sicheren, sauberen, modernen Ort gehen, wo die Leute noch an Friede und Liebe glauben und wo es Musik gibt.»
Bis es so weit ist, trägt ihn die Musik aus seiner verlorenen Heimat durch die langen Tage im Flughafenterminal von Kuala Lumpur. Manchmal hofft er, dass seine Geschichte endet, wie jene von Viktor im Film «The Terminal». Im Hollywoodstreifen wacht der Held eines morgens auf. Der Krieg in seinem Heimatland ist zu Ende. Er kann nach Hause zurückkehren.