Die neue grosse Regierungskoalition in Deutschland aus CDU, CSU und SPD hat einen grossen Verlierer: Sigmar Gabriel. Sollten die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen, wird der Aussenminister sein Amt an Noch-Parteichef Martin Schulz abgeben müssen.
Darüber hat Gabriel in einem Interview seinem Unmut Luft gemacht. Er habe das Aussenministeramt gerne und in den Augen der Bevölkerung auch gut ausgeübt, sagte er den Medien der deutschen Funke-Mediengruppe. Und: «Ich bedauere, dass diese öffentliche Wertschätzung meiner Arbeit der neuen SPD-Führung herzlich egal war.»
Gabriel droht nun der Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit, denn innerhalb der Partei gehört er nicht mehr zum Führungszirkel. Wenig Verständnis für Gabriels Äusserungen zeigt der Politologe Gero Neugebauer. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin und gilt als Experte der deutschen Sozialdemokraten.
SRF News: Können Sie Gabriels Ärger und seine Äusserungen nachvollziehen?
Gero Neugebauer: Nein. Herr Gabriel weiss, dass in der Politik keine Ämter gesichert sind. Er weiss auch, dass die SPD-Führung das Recht hat, über die Besetzung von Regierungsposten zu entscheiden. Zudem argumentiert Gabriel mit seinem hohen Ansehen in der Öffentlichkeit. Dieses Argument wendet sich auch direkt gegen ihn selber: Es gab auch Zeiten, da er in den Umfragen relativ schlecht bewertet wurde, ohne damals die Konsequenzen zu ziehen.
Die Parteiführung hat entschieden, dass Schulz als Aussenminister für die Europapolitik besser ist.
Ist es klug, wenn die SPD ihren laut Umfragen beliebtesten Politiker kaltstellt?
Die Sozialdemokraten setzen für ihre Politik nicht auf Personen, auch wenn diese in den Medien immer im Zentrum stehen. Wenn nun die Parteiführung entscheidet, dass sie Martin Schulz als Aussenminister haben will, weil dieser für die Europapolitik besser ist, dann wird das im Grunde nicht bestritten. Die Führung der Partei gibt Schulz für sein Amt auch genügend Rückhalt.
Gabriel hat im Januar 2017 auf die Kanzlerkandidatur verzichtet und Platz gemacht für Martin Schulz. Jetzt übernimmt ausgerechnet dieser wohl das Aussenministerium von Gabriel. Ist ein gewisser Groll da nicht verständlich?
Ja, das ist es. Allerdings legt Gabriel keinerlei Beweis vor, dass ihm der Posten als Aussenminister von der Parteileitung versprochen worden wäre, auch wenn er von Wortbruch spricht. Deshalb bleibt seine Aussage bloss ein rhetorisches Argument, von dem der Beweis fehlt.
Gabriel legt keinen Beweis vor, dass ihm der Aussenminister-Posten versprochen worden wäre.
Ausserdem stand man im Januar 2017 relativ kurz vor der Wahl, und die Vorbereitungen darauf waren zu diesem Zeitpunkt völlig ungenügend. So gesehen könnte Schulz auch argumentieren, er sei damals quasi in eine Falle getappt und daran hätte Gabriel auch seinen Anteil.
Sigmar Gabriel hat die SPD und ihren Wahlkampf verschiedentlich kritisiert, er hat auch mehrmals Alleingänge unternommen. Zahlt er dafür jetzt den Preis?
Tatsächlich hat das dazu geführt, dass man für Gabriel zuweilen wenig Sympathie empfand. Er hat sowohl während des Wahlkampfs nicht immer Solidarität gezeigt, als auch nach den Wahlen ein langes Papier geschrieben, in dem er die Partei und die Parteipolitik kritisierte. Dabei vergass Gabriel, dass er selber für gewisse Punkte mitverantwortlich war. Insofern muss man sich nun nicht wundern. Er hat unter den gegenwärtigen Führungskräften innerhalb der SPD – Andrea Nahles, Olaf Scholz und Martin Schulz – keine Freunde mehr.
Ist Gabriels politische Karriere mit dieser Entwicklung am Ende?
Er bleibt Mitglied des Bundestags, wobei seine Funktion in der Fraktion noch offen ist. Auf Ebene Minister ist seine Karriere aber sicher mal zu Ende.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.